Die Türkei
spielt weiter die alte Leier!
Mit erheblicher Verspätung hat der
für den EU-Beitrittsprozess notwendige “Nationale Programm” bei
der letzten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates (MGK) den letzten
Schliff erhalten und wurde verabschiedet. Es war keine Entscheidung
der Regierung, sondern des Nationalen Sicherheitsrates. Die Regierung
hat anschließend den vom Nationalen Sicherheitsrat, also den Generälen,
vorgegebenen Rahmen gerechtfertigt.
Somit hat wieder einmal das Gremium,
welches die Europäische Union für unvereinbar mit seiner eigenen
Rechtsauffassung erklärt hat, das letzte Wort bei einer die EU betreffenden
Entscheidung gehabt. Die EU hatte gefordert, dass der MGK seine
Struktur und Arbeitsweise ändert und sich in akzeptable Grenzen
zurückzieht.
Jedoch unterscheidet sich das Demokratieverständnis
der meisten türkischen Politiker ohnehin nicht von dem der Generäle,
die bereit sind alle Schwierigkeiten mit dem Bajonett zu lösen.
Das Nationale Programm der Türkei nimmt
die Bedingungen in dem EU Beitrittspartnerschaftsdokument, insbesondere
die hinsichtlich der politischen Kriterien, ohnehin nicht zur Kenntnis.
Die Türkei fährt fort, die alte Leier weiterzuspielen. Zum Beispiel:
1. Sie ist nicht bereit die Barrieren
aufzuheben, die Radio und Fernsehsendungen sowie Bildung in der Muttersprache verhindern.
Ganz im Gegenteil unterstreicht sie wieder einmal die existierende
restriktive Politik. Die Türkei besteht darauf, dass die offizielle
Sprache, und damit die Sprache der Bildung, Türkisch sei und dass
diese Tatsache „die freie Verwendung einer anderen Sprache und eines
anderen Dialektes nicht verhindert“. Anders ausgedrückt führt das
Regime das bestehende Status Quo fort und ist entschlossen, dem
kurdischen Volk mit 20 Millionen Zugehörigen das Recht auf Radio-
und Fernsehsendungen sowie das Recht auf Schulbildung in der Muttersprache
zu verweigern. Sie hat nicht das geringste Interesse an der kleinsten
Veränderung.
2. Bei der Frage der Meinungs- und
Gedankenfreiheit setzt sie ebenfalls ihre alte Politik fort. Der
Gedankenfreiheit werden eine Reihe von Schranken und Bedingungen
wie „die Unteilbarkeit des Bodens, die nationale Sicherheit, der
Laizismus und die demokratische Republik, der Unitarstaat und der
Schutz der nationalen Einheit“ auferlegt. Diese Schranken sind uns
gut bekannt. Es sind diejenigen, die bis heute die Gedankenfreiheit
auf Null reduziert haben. Das Regime ist also entschlossen, jede
Kritik gegen sich zu verbieten und als eine Straftat anzusehen.
Die Türkei ist nicht einmal bereit,
den berüchtigten Paragraphen 312 des Strafrechts, der die Gedanken
verbietet, zu verändern. Sie ist entschlossen auch die zahlreichen
anderen Bestimmungen in der Verfassung und in anderen Gesetzen,
die die Gedankenfreiheit verbieten, zu bewahren.
3. Faktisch steht der Nationale Sicherheitsrat
über der Regierung und dem Parlament und hat deren Funktionen übernommen.
Das Europäische Parlament hatte Veränderungen hinsichtlich der Rechte
des Nationalen Sicherheitsrats gefordert. Doch die Türkei macht
keinerlei Versprechungen hinsichtlich der Erfüllung dieser Forderungen.
Ganz im Gegenteil behauptet sie, der MGK sei ein Beratungsorgan,
und versucht damit die tatsächliche Situation zu verheimlichen.
Weit entfernt davon, die für eine Anpassung
an die Kopenhagener Kriterien notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen,
nimmt die Türkei nicht einmal die durch die EU eigens für die Türkei
abgemilderten und angepassten Bedingungen der Beitrittspartnerschaft
zur Kenntnis.
Mit der Aussage, das Dokument über
die Beitrittspartnerschaft anzuerkennen, nahm die Türkei an dem
Gipfel von Nizza teil. Nun, nach nicht einmal drei Monaten, tritt
sie ihre eigenen Versprechungen mit den Füßen.
Das Nationale Programm der türkischen
Regierung, das sie der EU präsentiert hat, zeigt deutlich, dass
das türkische Regime nicht bereit ist durch eine Anpassung an die
Standards der EU Zugeständnisse zu machen. Weder hinsichtlich der
Lösung der Kurdenfrage, noch im Bereich der Demokratisierung und
der Menschenrechte. Sie begründet dies mit den “eigenen Realitäten”
und erwartet von der EU, sie im jetzigen, also barbarischen, repressiven
und antidemokratischen Zustand aufzunehmen.
Bereits zu Beginn dieses Prozesses
hatten wir vorausgesehen, dass die Türkei die Forderungen in dem
Beitrittspartnerschaftsdokument verwässern und verschleppen würde.
Doch das Resultat hat unsere Befürchtungen übertroffen.
Wie wird sich die EU in dieser Situation
verhalten? Entweder bleibt sie ihren Prinzipien und Beschlüssen
treu und friert die Beitrittsverhandlungen sowie die finanziellen
Hilfen an die Türkei, die ja an die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien
gebunden sind, ein. Oder sie toleriert die hartnäckiger Politik
der Türkei, die EU vor Vollendete Tatsachen anstellen. Das würde
bedeuten, dass bestimmte Kreise die Prinzipien, die sie durch die
“geostrategische Bedeutung der Türkei” bis zur Unkenntlichkeit ausgedehnt
hat, komplett beiseite schieben und einen doppelten Standard anwenden
würden.
Wir erwarten von der EU, ihren Prinzipien
treu zu bleiben. Die EU hat der türkischen Seite zu genüge Erleichterungen
geboten und die Kopenhagener Kriterien zu Genüge ausgedehnt. Wenn
die Türkei entschlossen ist, der EU beizutreten, dann muss sie unverzüglich
die notwendigen Schritte für die besagten Reformen unternehmen.
Wenn aber die Türkei ihre derzeitige antidemokratische, repressive
und barbarische Struktur aufrechterhalten und in diesem Zustand
in die EU eintreten möchte, und genau das will sie, so muss zu einer
solchen Erpressung Nein gesagt werden.
Für das kurdische Volk ist die Situation
klar. Das türkische Regime scheint entschlossen zu sein, die Rechte
unseres Volkes nicht anzuerkennen und seine Politik der Verleugnung
und der Unterdrückung fortzusetzen. Sie sagt Nein zur Demokratie
und will keine friedliche und vernünftige Lösung. Wir jedenfalls
werden unseren Widerstand gegen ein solches Regime fortsetzen, um
unsere Rechte und Freiheiten zu erlangen.
Die EU darf dieses Gewalt und Unterdrückungsregime
nicht aufnehmen. Andernfalls würde sie, wie es bei der NATO der
Fall ist, eine gegnerische Position zum gerechten Widerstand des
kurdischen Volkes einnehmen. Wenn die EU Position beziehen will,
dann muss sie ihren Platz an der Seite unseres unterdrückten und
entrechteten Volkes einnehmen und nicht an der Seite eines brutalen
Gewaltregimes.
Diese rückständigen Führer der Türkei
haben bis heute keinen Segen aus ihrer barbarischen und primitiven
Politik gehabt, und werden es auch in Zukunft nicht haben. Mit dieser
Haltung tragen sie die Schuld daran, dass das Land politisch und
wirtschaftlich eine schwere Depression erlebt und nicht nur das
kurdische, sondern auch das türkische Volk großen Schmerz erleidet.
Die kurdische Nation, die zu den alten
und großen Nationen des Nahen Ostens zählt, ist entschlossen, ein
freier und gleichberechtigter Teil der internationalen Gemeinschaft
zu werden.
Wir kämpfen für eine gerechte Sache.
Dabei vertrauen wir, allen voran, der Sehnsucht unseres Volkes nach
Freiheit, dem Widerstandsgeist unseres Volkes und seiner nicht enden
wollenden Energie.
Wir sind entschlossen als aufrechte
Menschen in einem freien Land zu leben und wir werden es schaffen.
Alle, auch die Unterdrücker, die die
Türkei regieren, werden dies eines Tages sehen und erkennen.
Kemal Burkay
Sozialistische Partei Kurdistans (PSK)
Generalsekretär
21. März 2001
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