Ein Appell der kurdischen Organisationen
und Institutionen:
„Überprüfung der Mitgliedschaft der CHP
bei der Sozialistischen Internationale“
24.10.2006
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Belastungen in den gegenwärtigen Beziehungen zwischen
der Türkei und EU nehmen allmählich zu. Wir, die unterzeichnenden
demokratischen Organisationen und für die Kurden arbeitenden
Institutionen in Europa, betrachten es in diesem Stadium als
unsere historische Aufgabe, Ihnen unseren Standpunkt hinsichtlich
ihres Mitglieds CHP – Republikanische Volkspartei der
Türkei mitzuteilen.
Die Kemalisten gründeten auf den Überresten des zerstörten
Osmanischen Reichs eine unitäre nationale Republik. Aus diesem
Grunde gab es keine ernst zu nehmenden Erneuerungen und Veränderungen
in den Herrscher-Untertan Beziehungen zwischen den Bürgern
und dem Staat. Das kemalistische Regime hat trotz des Mehrparteiensystems,
das in der Türkei Anfang der 50er Jahre Einzug hielt, seine
Existenz fortsetzen können, weil im Bezug auf pluralistisch-partizipatorische
demokratische Strukturen keine Reformen auf der Grundlage
der allgemeinen Menschenrechte verwirklicht wurden.
Die in der Zeit des kalten Krieges auch in der Türkei
aufgebaute Gladio-Organisation breitete sich im Laufe der
Jahre aus und entwickelte sich unter der Kontrolle der Militärbürokratie
zu einem unsichtbaren Staat innerhalb des Staates. Die CHP,
die sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnet, wurde stärkster
Befürworter dieses heimlich im Untergrund operierenden Staates
und versuchte sogar, statt durch übliche demokratische Abläufe,
durch Unterstützung dieser Strukturen an die Macht zu gelangen.
Durch die alleinige Regierungsbildung der AKP und den
Beginn des EU-Mitgliedschaftsprozesses der Türkei fanden in
den Beziehungen und Allianzen zwischen den einzelnen gesellschaftlichen
Gruppen wichtige Veränderungen statt. Die Gewerkschaften und
die kurdisch-nationale Opposition setzen ihren Kampf unvermindert
weiter. Neuerdings schloss sich die alevitische Opposition
auch dieser Oppositionsbewegung an.
Die innere Opposition hat trotz ihrer Anstrengungen
das bürokratisch-unitär beherrschte türkische Regime nicht
zu demokratischen Reformen und Veränderungen zwingen können.
Nur aufgrund des Drucks seitens der EU sahen sich die Regierenden
in der Türkei sich zur Durchführung einiger demokratischen
Umgestaltungen genötigt.
Der direkt von der Militärbürokratie gelenkte geheime
Staat im Staate ist im Grunde eine faschistische Organisation.
Der stärkste Widerstand gegen die Veränderung der bestehenden
Ordnung kommt von diesem Gebilde. Denn die EU setzt sich gegen
die aktive Rolle der Militärs in der türkischen Politik ein.
Neben diesem Schattenstaat stellen sich faschistische türkische
Organisationen und Persönlichkeiten genauso gegen jegliche
Veränderung der vorhandenen Strukturen.
Bedauerlichweise beteiligt sich auch die sich selbst
als sozialdemokratisch bezeichnende CHP an dieser Verteidigungsfront
der gegenwärtigen Verhältnisse.
Kurz gefasst haben sich der türkische Schattenstaat,
vermeintliche Sozialdemokraten der CHP, national-sozialistische
und faschistische Parteien, Institutionen und Personen unter
dem Deckmantel des Patriotismus in einer “Roter Apfel” genannten
Ablehnungsfront zusammengetan.
Die Bezeichnung “Roter Apfel” stammt aus der Terminologie
der türkischen Faschisten. Während des 2. Weltkrieges bezeichneten
die türkischen Faschisten, die unter dem starken Einfluss
des Hitlerschen Nazismus standen, ihre Vorstellung von der
Gründung eines gesamttürkischen Großreiches, das alle Turkvölker
von Kaukasien bis zum Balkan vereinigen sollte, als “Roter
Apfel”. Die gegenwärtige faschistische Front, an der sich
auch die CHP tatkräftig beteiligt, versucht mit rassistischen
und westenfeindlichen Argumenten den Weg für die demokratischen
Reformen in der Türkei zu versperren.
Diese Front stellt sich gegen die Änderung der antidemokratischen
Paragraphen in türkischen Gesetzen, gegen die Herabsetzung
der 10-Prozent Hürde im Wahlgesetz, gegen die Aufhebung aller
Einschränkungen im Bereich der Meinungs-, Gedanken- und Organisationsfreiheit
und gegen eine friedliche Lösung der Kurden-Frage; kurzum
sie widersetzt sich gegen die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien.
Im Falle der Umsetzung dieser Kriterien würde sich die Türkei
nach deren Ansicht in eine Kolonie des Westens umwandeln und
dies würde dann zwangsläufig in eine Spaltung des Landes führen.
Ihr Mitglied CHP gehört auch dieser Front an.
Es ist durchaus einleuchtend, dass die reaktionären
und faschistischen Parteien, Organisationen und Menschen sich
jeglicher demokratischer Öffnung des Landes widersetzen. Aber
es ist nicht akzeptabel, dass die CHP, eine Mitgliedspartei
der Sozialistischen Internationale, sich dieser Gruppe anschließt.
Dieser Umstand stellt einen Verstoß gegen die Grundprinzipien
der Sozialistischen Internationale dar und führt zu einer
Beschädigung ihres Ansehens.
In einem Land, das in Richtung Demokratisierung,
Erneuerung und Modernisierung unhaltsam fortschreitet, stellt
es sich als ein trauriger und gleichzeitig ehrverletzender
Widerspruch dar, dass eine sozialdemokratische Partei mit
den faschistischen und reaktionären Kräften in einer Einheitsfront
gemeinsame Sache macht.
Wie es Ihnen bereits bekannt sein durfte, sind die Kurden
eines der ältesten Völker des Mittleren Ostens. Das Schicksal
dieses 40 Millionen Volkes ist der Willkür der Staaten überlassen,
die das Land Kurdistan besetzt halten. Die kurdische Frage
hat sich aber mittlerweile zu einem Fall der modernen und
zivilisierten Welt entwickelt. Ohne eine friedliche und gerechte
Lösung dieser Frage ist ein dauerhafter Frieden und die Stabilität
im Mittleren Osten nicht zu verwirklichen.
Wir, die unterzeichnenden demokratischen Organisationen
und die für die Kurden arbeitenden Institutionen in Europa,
betrachten es als unsere historische Aufgabe diese unannehmbare
und beschämende Situation Ihnen mitzuteilen. Aufgrund der
vorstehend dargelegten Fakten bitten wir Sie um die Überprüfung
der Mitgliedschaft der CHP bei der Sozialistischen Internationale
und um die Veranlassung der eventuellen Konsequenzen.
Hochachtungsvoll
Die unterzeichnenden Organisationen und Institutionen
DEM-KURD;
Verband der Vereine
aus Kurdistan – KOMKAR-Deutschland;
Föderation der Vereine
aus Kurdistan – Schweiz;
HEVKAR - Hamburg;
Kurdische Gemeinschaft
- Giessen;
Kurdische Gemeinschaft
- Köln;
Stimme der Kurden-Duisburg
IVK-Mainz
Zentrum für Kurdische
Kunst und Kultur – Hoybun, Berlin;
Kurdische Bibliothek
- Stockholm,
Kurdische Gemeinschaft
- Fulda,
Kurdisches Haus -
Lübeck,
Arbeiter-Kulturverein
Kurdistan - KOÇ-KAK – Niederlande;
Internationales Zentrum
für die Menschenrechte der Kurden – IMK – Bonn;
Kurdischer Verein,
Norwegen;
Kurdisches Institut
– Brüssel;
HAK-PAR Solidaritätsverein
– Deutschland;
Kurdisches Frauenbüro
KOMJIN – Deutschland;
Verein der Jugend
aus Kurdistan – KOMCIWAN – Deutschland;
KOMKAR – Schweiz;
KOMKAR- Schweden;
Verein Union der
Arbeiter aus Kurdistan – Den Haag;
KOMKAR – Dänemark;
KOMKAR – Großbritannien;
KOMKAR – Österreich;
Verein der Jugend
aus Kurdistan – KOMCIWAN – Schweden;
Union der Frauen
aus Kurdistan - KOMJIN- Schweden;
KOMKAR – Belgien
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