Burkay’s Brief:
„Bitte
vergessen Sie uns nicht!"
Der folgende Brief wurde von Kemal
Burkay an die Außenminister und der Vertretungen der Kommission
in den EU-Mitgliedsländern verschickt.
16. November 2000
Seine Exzellenzen,
Am 8. November 2000 wurde "the proposal
for an accession partnership with Turkey" veröffentlicht.
Das Dokument beinhaltet eine Reihe von
wirtschaftlichen und politischen Reformen, deren Umsetzung bei der
Vorbereitung der Türkei auf die Vollmitgliedschaft notwendig
sind.
Die Sozialistische Partei Kurdistans
betrachtet diese Vorschläge als eine Chance für die Veränderung
der Türkei und unterstützt sie. Wir wünschen, dass
die geforderten Reformen, insbesondere im Bereich der Menschenrechte
und Demokratisierung, ohne inhaltliche Veränderungen und ohne
Öffentlichkeit im In- und Ausland hinzuhalten, von der Türkei
unverzüglich realisiert werden.
Andererseits ist in diesem Dokument die
Kurdenfrage, eine der ernsthaftesten Probleme der Türkei, nicht
in der Weise behandelt worden, wie es ihrer würdig gewesen
wäre. Das Kurdenproblem ist sogar nicht einmal beim Namen genannt
worden. Jedoch hatten die Institutionen und Gremien der Europäischen
Union, insbesondere das Europäische Parlament, mit zahlreichen
Resolutionen, die sie vorher gefasst hatten, die Lösung der
Kurdenfrage als eine Bedingung genannt.
Falls diese Zurückhaltung für
die Beschwichtigung der chauvinistischen Kreise in der Türkei
gedacht ist, die bei der Kurdenfrage überreagieren, so glauben
wir nicht, dass diese Zurückhaltung der Demokratisierungsprozess
der Türkei dienen wird. Denn die Kurdenfrage ist der Hauptgrund
der heutigen Unterdrückungsmaschinerie und antidemokratischen
Struktur in der Türkei. Die Türkei kann nicht die von
ihr erwarteten Reformen verwirklichen, ohne die kurdische Realität
anzuerkennen. Sie kann, ohne die notwendigen Schritte für die
friedliche und gerechte Lösung dieser Frage zu tun, keine ernsthaften
Schritte bei den Menschenrechten und der Demokratisierung unternehmen.
Gewiss sind in dem Dokument Vorschläge
enthalten, wie die Zulassung von Radio- und Fernsehsendungen in
der Muttersprache eines Jeden und mittelfristig das Recht auf Bildung
in der Muttersprache, die auch die Kurden sehr interessieren (angehen).
Doch selbst diese Forderungen sind nicht offen als "Minderheitenrechte"
bezeichnet. Deshalb werden sie von der türkischen Seite als
"individuelle Rechte" interpretiert. Der türkische
Staat ist also selbst in diesem Bereicht nicht Willens, irgendeine
Verantwortung zu übernehmen. Inwieweit sie den Bemühungen
der Kurden selbst Genehmigungen erteilen werden ist zweifelhaft.
Zudem ist die Kurdenfrage weder so einfach,
dass sie in den Rahmen der Individualrechte passen könnte,
noch ist selbst der Minderheitenstatus für ihre Lösung
geeignet. Sie ist Frage einer Nation von 40 Millionen Menschen,
deren Heimat geteilt ist. Seit Jahren leistet das kurdische Volk
Widerstand für seine Freiheit - in der Türkei, im Irak,
im Iran und in Syrien. Nur wenige Nationen auf dieser Welt haben
Unterdrückung und Leid erfahren wie wir.
Nahezu die Hälfte der kurdischen
Nation, 20 Millionen, lebt im Norden unseres Landes Kurdistan, innerhalb
der Grenzen der heutigen Türkei.
Kann Frieden und Demokratie in die Türkei
einziehen, können Menschenrechte verwirklicht werden, solange
eine solch große Frage nicht gelöst ist? Kann die Türkei
seine Ressourcen zur Entwicklung ausrichten, bevor diese Frage gelöst
ist? Kann die EU die Türkei mit so großen Kopfschmerzen
wie die Kurdenfrage aufnehmen?
Also müssen alle, die Türkei
an der Spitze, die Kurdenfrage ohne sie zu verbergen, offen und
mit den realen Dimensionen, in die Hand nehmen. Die Lösung
der Frage ist für das kurdische und türkische Volk, für
die Region und für Europa außerordentlich notwendig.
Nur auf der Grundlage der Gleichheit kann diese Lösung eine
gerechte Lösung sein.
Wir vertreten seit Jahren eine solche
gerechte und zeitgemäße Lösung und sind der Meinung,
dass beide Völker in einer föderalen Struktur miteinander
leben können.
Es hat das kurdische Volk tief verletzt,
dass die Europaische Kommission in "the proposal for an accession
partnership with Turkey" weder die Kurdenfrage in ihren tatsächlichen
Dimensionen behandelt noch die Kurden beim Namen genannt hat.
Zumindest sollte diese Ungerechtigkeit
in der endgültigen Fassung des Dokumentes und in den folgenden
Stadien, insbesondere bei dem Gipfel in Nizza, berichtigt werden
und die Mindestforderungen der Kurden in dieses Dokument aufgenommen
werden.
Die Rückkehr von Millionen vertriebener
und zwangsumgesiedelter Kurden in ihre Heimat muss innerhalb kürzester
Zeit gewährleistet werden, für ihre Schäden müssen
sie entschädigt werden.
Sendungen in Kurdisch in Radio und Fernsehen
müssen zugelassen werden. Auch die öffentlichen Rundfunkanstalten
müssen, so wie sie in Türkisch senden, auch in Kurdisch
senden, denn auch Kurden zahlen Steuern.
Die Grundschule, für die Schulpflicht
gilt, muss in Kurdisch angeboten werden. Weiterführende Schulen
wie Gymnasien, Universitäten und Berufsschulen müssen
auch in kurdischer Sprache geben..
Kurdischen politischen Parteien muss
das Recht auf freie Betätigung zuerkannt werden.
Bei der Aenderung der Verfassung des
Landes muss die kurdische Identität anerkanntund die Rechte
der Kurden garantiert werden.
Wir erwarten von Ihnen Unterstützung
für das in Nordkurdistan und Westtürkei lebende, 20 Millionen
zählende kurdische Volk, das seinen grundlegendsten nationalen
Rechten beraubt und dessen Muttersprache verboten ist.
Bitte vergessen Sie uns nicht!
Mit vorzüglicher Hochachtung
Kemal Burkay
Sozialistische Partei Kurdistans (PSK)
Generalsekretär
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