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DIE KURDENFRAGE - GESCHICHTE UND GEGENWART
 
 
AUTOR: KEMAL BURKAY
 
Die Kurdenfrage ist in den letzten Jahren erneut und intensiver auf die internationale Tagesordnung gekommen. Diese Frage beschäftigt seit Jahren die Länder in der Region grundlegend und führt zu ausgedehnten inneren Auseinandersetzungen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen. Um die Kurdenfrage in ihrer heutigen Dimension nachvollziehen, ist es nötig, wenn auch nur zusammenfassend, auf die geschichtlichen und geographischen Hintergründe einzugehen.
 
Sprache, Religion und Geschichte
Die Kurden sind neben den Arabern, Persern und Armeniern eines der ältesten Völker der Region. Das von ihnen besiedelte Land wird Kurdistan gennant. Die Kurden haben ihre eigene Sprache, Kurdisch. Kurdisch gehört zur indo-europäischen Sprachfamilie und gehört neben dem Persischen, Afghanischen und dem Beludischen zur Gruppe der iranischen Sprachen. Mit dem Arabischen und dem Türkischen ist Kurdisch nicht verwandt.
 
In kurdischer Sprache werden seit dem 10. Jahrhundert schriftliche literarische Werke verfaßt. Die kurdische Sprache ist eine lebendige und reiche Sprache, die sich trotz aller Unterdrückung und Verbote, denen sie ausgesetzt war, bewahren konnte. Die Zahl der in Kurdisch schreibenden Dichter, Schriftsteller und Forscher geht in die Hunderte. In kurdischer Sprache sind zig Wörterbücher und Grammatiken verfaßt worden. Auch die kurdische Folklore ist sehr reichhaltig.
 
Innerhalb des Kurdischen sind mit der Zeit verschiedene Dialekte entstanden. Der am weitesten verbreitete Dialekt ist Kurmanci. Kurmanci wird von ca. 90 % der Kurden in der Türkei sowie im iranischen und im irakischen Kurdistan in den grenznahen nördlichen Gebieten zur Türkei und von den syrischen Kurden, also von rund 60 % aller Kurden gesprochen. Mit rund 25 % folgt der Sorani-Dialekt. Dieser Dialekt wird in den mittleren und südlichen Regionen des iranischen und irakischen Kurdistan gesprochen. Zazaki ist ein weiterer, in bestimmten Regionen Türkisch-Kurdistans gesprochener Dialekt. Weiterhin werden in den drei südlichsten Teilen Kurdistans Gorani und andere Dialekte gesprochen.
 
Die große Mehrheit der Kurden, ca. 75 %, sind sunnitische Moslems, ca. 15 % alevitische Moslems. Die Aleviten sind mehrheitlich in den nördlichen und westlichen Gebieten Türkisch-Kurdistans sowie in der Region Chorasan im Iran angesiedelt. Im Iran und Irak existieren des weiteren religiöse Gruppierungen wie schiitische Kurden (Feyli) sowie die den Aleviten nahestehenden Ehlihak ("die Leute Gotttes"). In den verschiedenen Teilen Kurdistans, insbesondere in der Region, in der die Grenzen der Türkei, Irans, Iraks zusammentreffen, und in Armenien existieren yezidisch-kurdische Gemeinschaften. Das Yezidentum war eine in früheren Zeiten unter den Kurden weit verbreitete Glaubensrichtung, ihre Wurzeln reichen bis zum Zarathustra-Glauben zurück. Des weiteren gibt es in den mittleren Gebieten Kurdistans bei kleineren Einheiten einen Zweig des Christentums, die syrischen Christen.
 
Kurden haben in der Geschichte dieser Region schon seit den frühen Epochen eine wichtige Rolle gespielt. In zahlreichen griechischen, römischen, arabischen sowie armenischen Quellen finden sich dazu viele Informationen. Danach haben Kurden, abgesehen von der fernen Vergangenheit, in der islamischen Epoche in der Zeit zwischen dem 11. und 13. Jarhundert mehrere wichtige Staaten wie Scheddadiden, Mervaniden und Eyyubiden gegründet: Insbesondere der Gründer des Ägypten, Syrien und Kurdistan einschließenden Eyyubidenstaates, Sultan Salahaddin, nimmt in der Geschichte einen wichtigen Platz ein.
 
Die aus Mittel-Asien stammenden Türken sind nach dem 11. Jahrhundert über den Iran nach Anatolien gekommen und haben zuerst den Seldschuken- und danach den Osmanen-Staat gegründet. Kurdistan war lange Zeit Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen dem osmanischen und dem persischen Reich. Zu der Zeit haben kurdische Fürstentümer mal für die eine mal für die andere Seite Partei ergriffen und somit ihren Autonomie-Status bewahrt. Im Jahr 1638 jedoch wurde Kurdistan durch den Vertrag von Kasri Schirin zwischen diesen beiden Staaten offiziell aufgeteilt. Seitdem haben beide Staaten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die kurdischen Fürstentümer kriegerisch bekämpft, um sie aus der Welt zu schaffen.
 
Der Kampf der Kurden gegen diese beiden großen Staaten erhielt ab Beginn des 19. Jahrhunderts einen nationalen Charakter. Kurdische Fürsten wie Bedirchan und Yazdanschêr sowie religiöse Führer wie Scheich Ubeydullah haben für die Einheit und die Unabhängigkeit Kurdistans gekämpft, wurden jedoch besiegt.
 
Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Osmanische Reich in die Geschichte ein, auf seinem ehemaligen Territorium entstanden neue Staaten. Nachdem am 10. August 1920 unterzeichneten Vertrag von Sévres sollte dort auch ein Staat Kurdistan entstehen. In der Folgezeit wurde dies jedoch nicht realisiert. Mit dem am 24. Juli 1923 unterzeichneten Vertrag von Lausanne wurde der zum osmanischen Territorium gehörende Teil Kurdistans noch einmal aufgeteilt. Ein Teil wurde dem englischen und französischen Mandat unterstellt, wo später Syrien und Irak entstanden. Der größte Teil Kurdistans blieb innerhalb der Staatsgrenzen der auf den Trümmern des Osmanischen Reiches gegründeten Republik Türkei.
 
Das Osmanische und das Persische Reich, die Kurdistan unter sich aufgeteilt hatten, haben zu keiner Zeit die Existens des kurdischen Volkes in Frage gestellt. Auch die Republik Türkei hatte anfänglich ihre neuen Grenzen als die "Grenzen des Misak-i Milli (Nationalpark), die die von der türkischen und kurdischen Mehrheit besiedelten Gebiete einschließen" definiert. Auf der ersten Sitzung der Großen Nationalversammlung in Ankara waren ca. 70 kurdische Abgeordnete anwesend, die offiziell als "Abgeordnete Kurdistans" bezeichnet wurden. Der türkische Vertreter Ismet Pascha erklärte in Lausanne:"Kurden und Türken stellen die eigentlichen Bestandteile der Republik Türkei dar. Kurden sind keine Minderheit, sondern eine Nation; die Regierung in Ankara ist sowohl die Regierung der Türken als auch der Kurden".
 
Nach Unterzeichnung des Lausanner Vertrages änderte sich die Politik Ankaras jedoch rasch. Die Strukturen des neuen Staates wurden gänzlich nach den türkischen Interessen gebildet. Die Existenz der Kurden wurde geleugnet. Neben der kurdischen Sprache und der Ausübung kurdischer Kultur wurden auch die Begriffe ´Kurdisch` und `Kurdistan` verboten. Die kemalistische Führung berücksichtigte die multikulturelle Struktur Anatoliens, die ein Völkermosaik darstellte, nicht im geringsten. Sie machte zum Grundstein ihrer Politik, andere Sprachen und Kulturen in die türkische Kultur einzuschmelzen und dadurch "eine einzige Nation" zu schaffen. Artikel 39 des Lausanner Vertrages, wonach die Staatsbürger der Türkei getreten und die kurdische Sprache im Erziehungs- und Pressewesen gänzlich verboten. Von Kurden zu sprechen und die Unterdrückung zu kritisieren, galt als ein schwerwiegendes Vergehen und wurde massiv bestraft.
 
Die Kurden leisteten im Jahre 1925 unter Scheich Said Widerstand gegen diese Politik. Der Aufstand wurde jedoch blutig niedergeschlagen, zehntausende von Kurde wurden getötet und vertrieben. Auch in der Folgezeit kam es zu kurdischen Aufständen. Die bedeutendsten fanden im Jahre 1930 in Ararat und 1938 in Dersim statt. Der türkische Staat hat in Kurdistan ständig Krieg geführt.
 
Nach 1938 folgte eine relative Ruhephase von etwa 20 Jahren Dauer. Allerdings ist es nicht verwunderlich, daß die Kurden, die alle nationalen Rechte entbehrten und massiven Unterdrückungsmaßnahmen unterworfen waren, die in Armut und Unwissenheit getrieben wurden und denen alle friedlichen und legalen Möglichkeiten des politischen Kampfes versperrt wurden, sich gegen die grausame Unterdrückung erneut bewaffnen. Seit 1979 regiert die Türkei Kurdistan mit Kriegsrecht, Ausnahmezustand und einem schmutzigen Krieg.
 
In den anderen Teilen Kurdistan ging eine ähnliche Entwicklung vonstatten. Die Kurden innerhalb der Grenzen Iraks, das heißt in Süd-Kurdistan, leisten seit dem Ersten Weltkrieg ebenfalls Wiederstand. Zuerst unter Scheich Mahmud Barzenci (1919 - 1923) und danach unter Scheich Ahmed Barzani und seinem Bruder Mustafa Barzani (1933 und danach) fanden Aufstände statt. Auch diese Aufstände haben die Kurden auch gewisse kulturelle Rechte erhalten. Sie bekamen Schulen, Universitäten, Radiosendungen usw. Die kurdische Kultur hat sich in diesem Teil ziemlich weit entwickelt.
 
Der größte kurdische Aufstand in diesem Teil Kurdistans begann im Jahre 1961 wiederum unter Mustafa Barzani und dauerte bis 1970. Im Jahre 1970 einigten sich die Kurden mit der Zentralregierung auf eine Autonomie. Die Regierung in Bagdad hielt die Kurden jedoch hin und ignorierte die Vertragsbestimmungen. Aus diesem Grund begann im Jahre 1975 der Krieg von neuem. Mit einigen zeitlichen Unterbrechungen dauerte er bis zum Jahre 1991 an.
 
Der Krieg gegen die Kurden ist den Irak teuer zu stehen gekommen. Um die Unterstützung der Kurden zu unterbinden, hatte das Saddam-Regime dem Iraner gegenüber zuerst Gebietskonzessionen gemacht. Um diese Gebiete zurückzuerobern, begann er danach einen acht Jahre dauernden, zerstörerischen Krieg gegen den Iran. Dabei wurde Kurdistan verwüstet und der Irak setzte sogar Giftgas gegen die Kurden ein. Nach Beendigung dieses Krieges griff er dann Kuweit an. Die Entwicklung danach dürfte jedem bekannt sein. Saddam erlitt im Krieg gegen die Alliierten eine schwere Niederlage. Die Kurden waren zunächst einer Massenvertreibung ausgesetzt, später wurde dann mit Beschluß der Vereinten Nationen eine Sicherheitszone für Kurden eingerichtet. Die Flüchtlinge kehrten in ihre Heimat zurück. Im sogenannten "Nord-Irak", also in Süd-Kurdistan, riefen die Kurden ein Parlament ins Leben und bildeten eine nationale Regierung.
 
Noch heute ist das Irak-Problem nicht gelöst. Das Land steht unter UN-Embargo, die Kurden befinden sich in einer äußerst schwierigen Lage.
 
Der Iranische Staat hat gegenüber den Kurden eine Politik der Unterdrückung, ähnlich der des kemalistischen Regimes in der Türkei, angewendet. Als nach dem 2.Weltkrieg der Iran vom Norden her von der Sowjetunion und von Süden her von England besetzt wurde, konnten die Kurden etwas Luft holen und organisierten sich rasch. Es wurde die Demokratische Partei Kurdistans gegründet, anschließend die Kurdische Republik Mahabad proklamiert. Als jedoch der Krieg vorüber war, schaffte die Regierung in Teheran, auch mit politischer Unterstützung Englands und Amerikas, die Republik Mahabad aus der Welt.
 
Der Widerstand des kurdischen Volkes hat aber nicht aufgehört. Als das Schah-Regime im Jahre 1978 zu Ende ging, konnte dieser Teil Kurdistans noch einmal die Freiheit genießen. Diese Phase dauerte allerdings auch nicht lange. Die Angriffe des neuen Regimes unter den Mollahs ließen nicht lange auf sich warten. Der aus diesem Grund 1979 begonnene bewaffnete Widerstand dauert bis heute an.
 
Zusammengefaßt hat das kurdische Volk, abgesehene von den Aufstände davor, nach dem Ersten Weltkrieg und bis in die Gegenwart in diesen drei großen Teilen Kurdistans gegen eine grausame Unterdrückung und Kolonialisierung ständig Widerstand geleistet und für die Aufrechterhaltung seiner Identität, die Inanspruchnahme seiner nationalen Rechte und die freie Bestimmung seines eigenen Schicksals gekämpft. Unser Volk hat in diesem Kampf hunderttausende von Menschen verloren, ist Opfer von Massenverteibungen geworden. Ihm ist viel Leid zugefügt worden. Hier liegt in der Tat ein Völkermord vor. Doch leider sind sowohl die Völkergemeinschaft als auch die Organisation der Vereinten Nationen bei dieser Tragödie unseres Volkes ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden und haben den Geschehnissen nur zugeschaut.
 
Geographie und Bevölkerung
Die Zahl der Kurden in den vier Teilen Kurdistans und innerhalb der Grenzen der vier Teilungsländer beträgt insgesamt ca. 35 Millionen. Somit sind Kurden ihrer Zahlen nach neben Arabern, Türken und Persern eine der vier großen Nationen im Nahen Osten.
 
Das seit jeher von Kurden besiedelte Kurdistan ist mit 500.000 qm Fläche so groß wie Frankreich. Mit anderen Worten bilden Kurden in ihrem Land keine Minderheit, sondern die Mehrheit. Die Kurdenfrage ist nicht ein Minderheitenproblem dieses oder jenes Landes, sondern die Frage eines geteilten Landes und einer Nation. Wie alle anderen Nationen haben auch die Kurden das Recht auf Selbstbestimmung.
 
Die Grenzen, die Kurdistan teilen, sind weder natürliche, wirtschaftliche noch kulturelle Grenzen. Es sind künstliche Grenzen, die gegen den Willen des kurdischen Volkes nach den Interessen der Teilungsmächte und des Machtgleichgewichts gezogen wurden. Sie haben oft Dörfer, Städte, ja sogar Familien voneinander getrennt und sich auf das wirtschaftliche soziale und kulturelle Leben spaltend und destruktiv ausgewirkt.
 
Der größte der Teile Kurdistans, der nach Einwohnerzahl und Fläche zugleich annähernd die Hälfte seiner Gesamtheit ausmacht, liegt im Norden innerhalb der Staatsgrenzen der Türkei. Dieser Teil bildet ein Drittel der Gesamtfläche der Türkei und umfaßt in den "östlichen und nordöstlichen Regionen" über zwanzig Provinzen. Andere Teile sind, nach Größe, Ost-Kurdistan (innerhalb der Grenzen Irans), Süd-Kurdistan (innerhalb der Grenzen Iraks) und kurdische Gebiete innerhalb der Grenzen Syriens.
 
In allen diesen Teilen ist eine große Einwohnerzahl von Kurden zu verzeichnen, die 80-90% beträgt. Ein gewisser Teil von Kurden lebt seit frühen Zeiten oder aufgrund der Migrations- bzw. Fluchtbewegungen der letzten Zeit in anderen Regionen und den Metropolen der jeweiligen Länder. Zieht man auch diese in Betracht, so leben innerhalb der Staatsgrenzen der Türkei 18-20 Millionen, des Iran 8-10 Millionen, des Irak 5 Millionen und Syriens 1,5 Millionen Kurden.
 
Rund ein Drittel der Arbeitsimmigranten aus der Türkei, die in den letzten 20-30 Jahren in die europäischen Länder eingewandert sind, sind Kurden. Wenn man noch die Zahl der Kurden aus der Türkei und anderen Teilen Kurdistans dazurechnet, die in den letzten Jahren aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nach Europa geflüchtet sind, so beträgt die Zahl der in europäischen Ländern lebenden Kurden rund 1 Million. Aufgrund von Migration und Flucht sind auch in Nord-Amerika und Australien solche kurdischen Gemeinschaften entstanden.
 
Natürliche Ressourcen, wirtschaftliche und soziale Strukturen
 
In bezug auf Bodenschätze ist Kurdistan eines der reichsten Länder der Erde. Die seit früheren Zeiten als "Fruchtbarer Halbmond" bekannte Zone, die von den Zagrosgebiergen bis ans Mittelmeer reicht und auch Nord-Mesopotamien einschließt, befindet sich größtenteils in Kurdistan.
 
Kurdistan ist reich an Landwirtschaft. Die Ebenen zwischen den Bergketten, insbesondere im warmen Süden, sind wegen der Bodenarten und den günstigen klimatischen Bedingungen sehr gut geeignet für Landwirtschaft. Die Hochebenen und Berghänge haben äußerst fruchtbares Weideland. Auf den Böden Kurdistans wachsen alle Getreidesorten sowie hochwertiges Obst und Gemüse. Die Harran-Ebene sowie Gebiete um Cezire und Mossul sind Getreidereservoirs der gesamten Region.
 
Temperatur- und Höhendifferenzen zwischen dem Norden und dem Süden haben dazu geführt, daß Kurdistan schon immer ein wichtiges Viehwirtschaftsland war. Desweiteren ist Kurdistan für den Nahen Osten ein Reservoir für Fleisch, Butter, Käse, Wolle und Tierfelle.
 
Kurdistan ist hinsichtlich Erdölvorkommen und anderen Mineralstoffen ein sehr reiches Land. Ein großer Teil der Erdölquellen Iraks befindet sich in Kurdistan, in den Regionen um Kirkuk und Hanikin. Ein Teil der wichtigen Erdölquellen Irans sind ebenfalls in ausschließlich in Kurdistan (Region um Batman, Diyarbakir und Adiyaman). Auch Syriens Erdölquellen sind hauptsächlich in Kurdistan in der Region um Cezire. Daneben ist unser Land reich an Bodenschätzen wie Eisen, Kupfer, Chrom, Kohle, Silber, Gold, Uran und Phosphat.
 
Weiterhin gibt es in Kurdistan Flüsse, die mindestens so wichtig, wenn nicht noch wichtiger als der Erdöl sind. Die Hochebene und Berge Kurdistans, die durch hohe Niederschläge und im Winter eine hohe Schneedecke gekennzeichnet sind, sind für den Nahen Osten das Wasserreservoir. Hier entspringen neben den berühmten Flüssen Euphrat und Tigris Ebene zahlreiche weitere kleinere Flüsse. Euphrat und Tigris beleben neben der Mesopotamien-Ebene und dem südlichen Teil Kurdistans Irak Syrien mit Wasser. Diese aus drei- bis viertausend Meter Höhe hinabfließenden Flüsse sind gleichzeitig auch für die Energiegewinnung sehr bedeutsam. Irak und Syrien haben an diesen Flüssen oder an deren Nebenflüssen zahlreiche Staudämmen, die von der Türkei im Rahmen des GAP-Projektes (Südostanatolienprojekt) gebaut sind. GAP ist ein Projekt, das noch nicht abgeschlossen ist und schon jetzt einen wichtigen Teil des elektrischen Energiebedarfes der Türkei abgedeckt. Mit dem Abschluß des Projektes wird einerseits der Vorrat an elektrischen Energiebedarfs der Türkei abdeckt. Mit dem Abschluß des Projektes wird einerseits der Vorrat an elektrischer Energie und andererseits durch Bewässerung dieses Teiles von Kurdistan die landwirtschaftliche Produktion um ein Vielfaches steigen.
 
Kurdistan lag im Altertum und Mittelalter auf der Handelsstraße zwischen Fernost und Europa (Seiden- und Gewürzstraße). Auch in der jüngeren Vergangenheit wurde diese Bedeutung aufrecht erhalten. Interessanter weise ist Kurdistan heute die günstigste Region für die Erdöl-Pipe-Lines des Irak und des Kaukasus.
 
Der außerordentliche Reichtum Kurdistans und seine strategische Lage sind gleichzeitig der wichtigste Grund dafür, daß unser Land geteilt gehalten und unserem Volk so großes Leid zugeführt wird. Aus den genannten Gründen hat Kurdistan im 18. und 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit westlicher Kolonialstaaten auf sich gezogen. Engländer, Franzosen und Russen haben um unser Land gerungen. Dann haben sie es nach dem Ersten Weltkrieg entsprechend ihren eigenen Interessen noch einmal aufgeteilt.
Die Russen hatten sich nach der Oktober-Revolution 1917 aus der Region zurückgezogen. Engländer und Franzosen haben mit der Unabhängigkeit Syriens und Iraks die Region administrativ verlassen. Jedoch bestehen ihre wirtschaftliche Beziehungen in ihr Einfluß in der Region weiter.
 
Neben der Republik Türkei und dem Iran haben auch die neu gebildeten nationalen Führungen in Syrien und Irak alles Nötige getan, um den ihnen zugesprochenen Teil Kurdistans unter Kontrolle zu halten und die Kurden zu assimilieren und auszurotten. Sie haben kurdische Aufstände brutal niedergeschlagen. In diesem Zusammenhang haben die meistens zusammengehalten und Vereinbarungen getroffen. Die Reichtümer Kurdistans haben sie geplündert, seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung verhindert.
 
Daher muß unser Volk auf diesem reichen Land in Armut leben. Diese kolonialistischen Bedingungen, die ständige Unsicherheit und der Krieg haben die Entwicklung unseres Landes in der Landwirtschaft, im Handel und in der Industrie verhindert. Das in Kurdistan erwirtschaftete Kapital ist stets außer Landes geflossen. Die Gesellschaft konnte sich nicht modernisieren, die Feudalstrukturen der Vergangenheit sind nicht gänzlich aufgelöst worden. Die Stammesstruktur in der ländlichen Gebieten, das Großgrundbesitzertum und die damit einhergehenden religiösen Strömungen sowie die Institution des Scheichtums (Scheich: Rel. Oberhaupt) haben sich erhalten. Heute noch befindet sich Kurdistan in einem halbfeudalen System noch keine große Bedeutung.
 
Die schmutzigen Kriege, die die jeweiligen Kolonialstaaten führen, um die seit 1961 in Süd-Kurdistan (Irak), seit 1979 in Ost-Kurdistan (Iran) und seit 1984 in Nord-Kurdistan anhaltenden kurdischen Partisanenkriege und Volksaufstände niederzuschlagen, sind für unser Land verheerend gewesen. Angesichts dieser Situation, in der alles brutal zerstört wird und die Menschen in Massen flüchten, weil sie um ihr Leben fürchten, wirtschaftliche und soziale Fortschritte zu erwarten, wäre lächerlich.
 
Warum hatte die kurdische Widerstandsbewegung bis heute keinen Erfolg ?
 
Das 20. Jahrhundert war Zeuge des Untergangs des weltweiten kolonialistischen Systems und der Gründung neuer Staaten in ehemaligen Kolonien und abhängigen Ländern. Warum haben die Kurden, die eine alte Geschichte und reiche Kultur besitzen, obwohl sie seit Beginn des 19. Jahrhunderts stets Widerstand geleistet haben und einen hohen Preis zahlen mußten, nicht die Freiheit erlangt?
 
Das hat interne und externe Gründe. Die feudale Zersplitterung in der kurdischen Gesellschaft ist solch ein interner Grund. Die Stammesstruktur, Spaltung in religiösen Strömungen und Konfessionen sowie die Großgrundbesitzer- und Scheich-Institution bildeten zu jeder Zeit Hindernisse für die Einheit nationaler Kräfte. Die mittelalterlichen Wertvorstellungen dieses System haben dazu geführt, daß sich ein nationales Bewußtsein nur mangelhaft ausbilden konnte.
 
Jedoch sind dies nicht die eigentlichen Gründe. Es darf nicht vergessen werden, daß auch zahlreiche Nationen in Asien und Afrika, die ihre Freiheit erlangt haben, in Bezug auf das wirtschaftliche und soziale System rückständig, oft sogar im Vergleich zu den Kurden rückständiger waren. Die eigentlichen Gründe, die den Erfolg der kurdischen Nationalbewegung verhindert haben, sind externe.
 
Anfangs haben Kurden gegen zwei Großreiche, das Osmanische und Persische, gekämpft. Das Kräftegleichgewicht war zum Nachteil der Kurden und sie hatten keinerlei durch die Unterstützung von außen. Jedoch haben beispielsweise die Balkanländer ihre Unabhängigkeit durch die Unterstützung mächtiger westlicher Staaten wie Rußland, Österreich, England und Frankreich erlangt. Engländer und Franzosen waren es auch, die Arabien vom Osmanischen Reich getrennt haben. Eben diese Mächte haben in Vereinbarungen mit der Regierung in Ankara Kurdistan erneut aufgeteilt.
 
Die dem Ersten Weltkrieg folgenden Aufstände der Kurden wurden außer von der Türkei und dem Iran auch von den Franzosen und den Engländern, die Syrien und Irak unter ihrem Mandat hatten, bekämpft. Insbesondere die Engländer haben den nationalen Austand der Kurden im Irak mit ihren eigenen Kräften niedergeschlagen.
 
Nachdem Syrien und Irak ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, sah sich die kurdische Nationalbewegung der Allianz dieser vier Staaten gegenüber. Einer der ungünstigen Effekte ist, daß das kurdische Land von diesen vier Teilungsstaaten, also von gegnerischen Mächten, eingeschlossen ist. Die Kurden haben weder über das Festland noch über Meere Verbindung nach außen. Es ist sehr schwierig, mit der Außenwelt Kontakte herzustellen. Auch wenn es befreundete Kräfte geben sollte, die den Kurden von außen helfen wollten, bestehen keine Wege oder Zugänge, über die diese Unterstützungen direkt nach Kurdistan gelangen könnte. Wenn die kurdische Nationalbewegung in irgend einem Teil zum Stützpunktgebiete oder logistische Unterstützung zu erhalten. Gerade dieses, oder ein anderes, Nachbarland ist jedoch einer der vier Staaten, die einen anderen Teil Kurdistans unter ihrer Kontrolle halten. Keiner von ihnen ist an einem Sieg von Kurden interessiert. Diese Staaten spielen lediglich die kurdische Karte gegeneinander aus, wenn sie von Zeit zu Zeit Probleme miteinander haben. Gerade das macht die kurdische Frage, die ohnehin kompliziert genug ist, noch komplizierter. Solche Beziehungen sind für die kurdische Nationalbewegung höchst problematisch und bringen kurdische Organisationen von Zeit zu Zeit in die Lage, sich sogar gegenseitig zu bekämpfen.
 
Im übrigen hat die kurdische Nationalbewegung zu keiner Zeit eine tragfähige internationale Unterstützung gehabt. Der wesentliche Grund dafür ist, daß große und auch kleinere Staaten, die in dieser Frage nicht direkt Parteien sind ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen und sich nicht gegen die vier Staaten in der Region (Türkei, Irak, Iran und Syrien) stellen wollen.
 
Was ist die Lösung?
Die Kurdische Nationalbewegung hat aus all den genannten Gründen keinen Erfolg erzielt. Andererseits haben auch die betreffenden vier Staaten es nicht geschafft, die Kurden einzuschmelzen und aus der Welt zu schaffen. Im Gegenteil: Das kurdische Nationalbewußtsein hat sich von Jahr zu Jahr gefestigt und unter Überwindung gewisser feudaler Hindernisse hat es einen Massencharakter erlangt. Die kurdische Nationalbewegung hat sich organisiert, sie schließt alle gesellschaftlichen Klassen und Schichten ein und die Kurden in den verschiedenen Teilen sind sich näher gekommen. In allen diesen Ländern ist der kurdische Widerstand stärker geworden und in den drei großen Teilen hat er die Form des bewaffneten Widerstandes angenommen, den niederzuschlagen einfach nicht gelingt.
 
Die kurdische Identität zu leugnen, Kurden ihre Rechte nicht zuzugestehen und die Unterdrückungspolitik gegenüber den Kurden kommt auch die beteiligten Ländern sehr teuer zu stehen. Die Regierungen der Türkei, des Irak und Iran müssen ständig Krieg deswegen führen. Dieser Krieg verschlingt ihre Finanzressourcen und kostet Menschenleben. Unter diesem Aspekt ist der Irak, der praktisch mit einer Teilung konfrontiert ist, das interessanteste Beispiel. Aber auch in der Türkei ist die Lage nicht rosiger als im Irak.
 
Die Unterdrückungspolitik gegenüber den Kurden ist für die Türkei das größte Hindernis für die Demokratie und inneren Frieden. Eine der Hauptursachen für die häufigen Militärputschs in der Türkei ist die Kurdenfrage. Der seit 11 Jahren gegen das kurdische Volk geführte schmutzige Krieg verschlingt die Ressourcen. Die Türkei tätigt jährlich 8 - 10 Milliarden direkte Kriegsausgaben. Außerdem verzeichnet der Tourismussektor aus diesem Grund große Verluste. In Kurdistan ist die Wirtschaft gänzlich lahmgelegt; Landwirtschaft, Handel und Viehwirtschaft sind zusammengebrochen.
 
Es ist ein Stadium erreicht, in dem die Kurdenfrage in der Türkei eine ernsthafte wirtschaftliche und politische Krise herbeigeführt hat. Die Gewalt überzieht das gesamtgesellschaftliche Leben wie ein Netz. Der chauvinistisch geprägte Nationalismus und der Militarismus nehmen stark zu.
 
Regierung und offizielle Stimmen lasten die Verantwortung für die mißliche Lage nach wie vor der PKK an, der sogenannten "Handvoll Terroristen". Die Hauptverantwortliche für die heutige Misere und all das Leid, das beiden Völkern zugefügt wird, ist jedoch der türkische Staat selbst. Der Punkt, der heute erreicht ist, ist das Produkt einer falschen Politik, die seit 70 Jahren praktiziert wird.
 
Es besteht kein Zweifel daran, daß dieses Problem nicht durch die Armee und die Polizei zu lösen ist. Durch Dialog und die Anerkennung kurdischer Rechte ist eine friedliche Lösung möglich, und die liegt im Interesse beider Völker. Damit könnten im Land Frieden und Demokratie Einzug halten und die ganze Türkei und Kurdistan könnten in eine Entwicklungsphase eintreten.
 
In den letzten Jahren kritisieren vernünftige Kreise die seit 70 Jahren mit Nachdruck verfolgte Politik, die keinem etwas gebracht und das Land zunehmend in eine Sackgasse geführt hat, immer mehr und setzen sich für eine friedliche Lösung ein. In Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen, bei den Intellektuellen und den Medien findet diese Haltung immer mehr Zustimmung. Auch die internationale Situation drängt die Türkei zu einem Kurswechsel.
 
Die Kurdenfrage hat sich in den letzten Jahren von einem Regionalproblem zu einem internationalen Problem entwickelt. In diesem Zusammenhang ist der Beschluß der Vereinten Nationen zum Schutz der irakischen Kurden außerordentlich wichtig. Die Türkei, die in die Europäische Union aufgenommen werden will, muß das politische und kulturelle Leben an die europäische Standarts anpassen und die internationalen Vereinbarungen, die sie unterzeichnet hat, praktisch umsetzen.
 
Meine Folgerung aus dem bisher Dargelegten ist, daß die Lösung der Kurdenfrage, trotz der schlechten aktuellen Lage, näherrückt. Um eine friedlich Lösung umgehend zu ermöglichen, müssen auf nationaler und internationaler Ebene die Friedensinitiativen verstärkt werden.
 
Die Sozialistische Partei Kurdistans, zu der ich gehöre, tritt für eine friedliche und gerechte Lösung ein. Trotz all der Unterdrückung und Provokationen, denen das kurdische Volk ausgesetzt war und ist, haben wir uns von Anfang an für politische und friedliche Methoden des Kampfes entschieden. Unserer Ansicht nach ist das friedliche Zusammenleben beider Völker möglich und unsere Partei schlägt dafür eine Föderation vor. Wir können Lösungen finden ähnlich wie in Spanien, Belgien, oder in der Schweiz. Was die Türkei für die hunderttausend Türken auf Zypern fordert, sollte sie auch innerhalb ihrer Grenzen der kurdischen Nation mit ihren 20 Millionen Menschen zuerkennen.
 
Dafür müssen jedoch zu allererst auf beiden Seiten die Waffen schweigen und Verhandlungen eingeleitet werden.
 
Auch in anderen Teilen Kurdistans ist unserer Ansicht nach die Lösung des Problems auf friedliche Art möglich. In allen Teilen müssen die Existenz und die Rechte des kurdischen Volkes respektiert werden, auf Basis der Gleichberechtigung müssen föderative Lösungen gefunden werden.
 
Die Frage nach der Einheit der kurdischen Nation ist eine Frage der Zukunft. Ich glaube, in Zukunft wird auch die Nahost-Region sich stark verändern. Die heutigen despotischen, unterdrückerischen und primitiven Regimes werden gehen, das Verhältnis zwischen den Völkern wird sich bessern und es wird eine Phase der Annäherung, ähnlich wie in Europa, geben. Die Grenzen werden ihre Bedeutung verlieren. Künstliche Grenzen, die heute Kurdistan mit Stacheldraht und Mi
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