PRESSEDIENST
Die Änderungen bleiben
weit hinter manchen Mindesterwartungen zurück.
Am 03.10.2001 wurde die
Änderung von 34 Artikeln der türkischen Verfassung, ein Produkt
der Militärjunta des 12. September 1980, verabschiedet. Diese Änderungen
werden als Reform, ja sogar als Revolution bejubelt.
Vor allem wird behauptet,
dass es aufgrund dieser „Reform“ kein Verbot der Herausgabe von
kurdischen Publikationen und der Ausstrahlung von Rundfunk- und
Fernsehsendungen in kurdischer Sprache mehr gäbe. Das trifft überhaupt
nicht zu. Seit ca. 10 Jahren werden kurdische Publikationen in der
Türkei herausgegeben. Sie werden konfisziert und verboten, ihre
Herausgeber zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Der Grund dieser
Repressalien war nicht die Veröffentlichung auf kurdisch, sondern
die angebliche separatistische Propaganda, die Gefährdung der „nationalen
Sicherheit“ und „öffentlichen Ordnung“. Solange es sich um die Kurdenfrage
und Rechte des kurdischen Volkes handelt, werden diese Publikationen
weiterhin das gleiche Schicksal erleben wie die bisherigen pro-kurdischen
Publikationen.
Der 5. Satz der Präambel
der Verfassung schränkte die Meinungs- und Gesinnungsfreiheit durch
Verstöße gegen die Unteilbarkeit des Staates und der Nation
ein, die in der Türkei die Ausübung jeden Grundrechtes unmöglich
macht. Während bislang allein eine entsprechende „Meinung und Gesinnung“
verfolgt wurde, ist dies durch den Begriff „Aktivitäten“ (Faaliyet)
ersetzt worden, was im Türkischen jedoch sehr leicht willkürlich
je nach der politischen Situation im Lande interpretiert werden
kann. Eine „Aktivität“ kann u.a. auch Reden, Schreiben, Gründung
eines Vereines und einer Organisation umfassen. Die Meinungs- und
Organisationsfreiheit existiert weiterhin im eigentlichen Sinne
nicht.
Die Position des Nationalen
Sicherheitsrates (MGK) ist nicht geändert worden. Lediglich seine
Beschlüsse werden nun nicht mehr „vorrangig beachtet“, sondern „gewürdigt“.
Diese Umformulierung wird an der Tatsache, dass der MGK seine Macht
behält, nichts ändern. Das Militär bleibt weiterhin an der Macht.
Das Anti-Terror-Gesetz,
das Parteien-Gesetz, bestimmte Artikel im Strafgesetzbuch und Dutzende
von Gesetzen sind immer noch in Kraft, die ein modernes und zeitgenössisches
Leben lähmen. Das kurdische Sprachverbot im Erziehungswesen bleibt
wie gehabt. Die Todesstrafe wurde nicht abgeschafft. Aufgrund der
Phobie um die „nationale Souveränität“ wurde internationalem Recht
kein Vorrang gegeben, womit eine weitere Forderung der EU unerfüllt
geblieben ist.
Diese Änderungen sind nicht
wegen der Anpassung der Verfassung an die Bedürfnisse der multikulturellen
Gesellschaft in der Türkei, sondern nur zur Realisierung der Mindestforderungen
der EU vorgenommen worden. Im Lichte dieser Änderungen wird man
feststellen, dass die Türkei keinen bedeutenden Schritt im Sinne
der Kopenhagener Kriterien gemacht hat. Trotz der angeblichen Absicht,
sich an die europäischen Normen anzupassen, geben diese Änderungen
bzw. die sogenannte Reform kein deutliches Signal zur Demokratisierung
des Landes. Alles, was gemacht wurde, ist nichts als ein Versuch,
die innere und äußere Öffentlichkeit irrezuführen.
Die Junta-Verfassung hätte eigentlich
schon längst abgeschafft und durch eine neue, moderne, zivile Verfassung
ersetzt werden müssen. Die Anerkennung der kurdischen Identität
und die Rechte des kurdischen Volkes wurden in der „neuen“ Verfassung
nicht verankert.
Die Menschen in der Türkei brauchen
keine Retuschen mehr. Das Beharren auf dem Falschen bedeutet für
uns alle den Verlust wertvoller Zeit. Demokratie und Frieden sollten
nun endlich auch in unserem Lande blühen, bevor das ganze Land wirtschaftlich,
politisch und gesellschaftlich ruiniert ist.
05.10.2001
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