DIE
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER TÜRKEI – FORDERUNGEN
DES KURDISCHEN VOLKES
Rede
von Herrn Ziyaaddin Saidpour
im Namen der „Nationalen Plattform Kurdistans-Nord“ (PNK-Bakûr)
beim
Türkei-Hearing
der
PDS-Bundestagsfraktion
am
2. und 3. November 2001
im
Reichstag, Berlin.
(Es
gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte(r)
Frau/Herr Vorsitzende(r)
Meine
sehr verehrten Damen und Herren,
zuerst
möchte ich mich bei der Bundestagsfraktion der PDS sehr herzlich
bedanken, dass sie ein solches Hearing organisiert und auch uns
eingeladen hat, um über unsere Ansichten zu sprechen.
Ich vertrete
bei diesem Hearing die „Nationale Plattform Kurdistans-Nord“ (PNK-Bakûr).
Unsere Plattform ist eine Union, die sich aus acht politischen Organisationen
aus Nordkurdistan zusammensetzt zum Zwecke der Koordination und
Kooperation.
Wir, die
PNK, sind für die Mitgliedschaft der Türkei in der EU, aber erst,
wenn sie die Bedingungen zur Demokratisierung und zur Lösung der
kurdischen Frage erfüllt hat.
Die Forderungen
der EU im Rahmen der „Beitrittspartnerschaft“ mit der Türkei, vor
allem im Bezug auf die Kurdenfrage, sind unserer Meinung nach nicht
adäquat.
Die EU
hat – offensichtlich mit überzogener Rücksicht auf die türkischen
Empfindlichkeiten – vermieden, das Kurdenproblem beim Namen zu nennen.
Dies ist keine realistische Haltung. Bei einer so wichtigen Frage
wie der Kurdenfrage hätte die EU sie beim Namen nenne und offen
ihre Vorstellung über die Lösung darstellen sollen. Indem sie das
nicht getan hat, hat die EU von Beginn an der Türkei nachgegeben.
Doch auch
wenn die Kurden nicht beim Namen genannt werden, beinhaltet die
„Beitrittspartnerschaft“ auch Forderungen, die die Kurden betreffen.
Dazu gehören beispielsweise die Aufhebung der Hindernisse im Bezug
auf die Sprachen (Muttersprachen) außer der türkischen Sprache innerhalb
eines Jahres. Als nächste Stufe (auf mittlere Sicht), die Erziehung-
und Bildung in der eigenen Muttersprache.
Die Verwirklichung
dieser Forderungen würde Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer
Sprache sowie kurdische Schulen ermöglichen.
Natürlich
stellt dies nur einen Bruchteil der Forderungen des kurdischen Volkes
dar und wird nicht zur Lösung des Problems ausreichen.
Die türkische
Regierung hat jedoch gegen diese Forderungen heftig reagiert und
unterstellt, dass dies der Versuch sei, die Türkei zu spalten!
Das „Nationale
Programm“, das als Antwort auf die Erwartungen und Forderungen im
„Beitrittspartnerschaftsdokument“ von der türkischen Regierung vorbereitet
wurde, geht überhaupt nicht auf diese Forderungen ein. Wieder einmal
wurde laviert und taktiert.
Seitdem
gibt es keine ernsthaften Bemühungen in Richtung Demokratisierung
und Lösung der Kurdenfrage. Weder wurden Schritte zur Anpassung
der Gesetze und Verwaltungsvorschriften an die EU unternommen, noch
hat sich die Praxis sich im Bereich der Menschenrechte entspannt.
Während
dieser Zeit wurden weiterhin Untersuchungen gegen Schriftsteller,
Wissenschaftler und Journalisten wegen ihrer Meinungsäußerung eingeleitet.
Die Beschlagnahmung
und der Verbot der Bücher, Zeitungen und Zeitschriften in kurdischer
Sprache oder über die Kurden setzte sich fort. In manchen Bereichen
verschärfte sich die Lage sogar noch mehr. Beispielsweise wurde
das Verbot von kurdischen Musikkassetten etwas gelockert, aber im
letzten Jahr wurde das Spielen von kurdischer Musik in den Caféhäusern
verboten, auch in Diyarbakir.
Der private
Fernsehkanal 21 in Diyarbakir wurde wegen der Ausstrahlung eines
kurdischen Volksliedes für ein Jahr geschlossen.
Die vom
kurzen verwirklichte Verfassungsänderung ist bedeutungslos und nichts
anderes als eine Retusche.
Der dem
Parlament vorgelegte Entwurf über die Veränderung der 37 Verfassungsartikeln
waren, wie die Juristen es sagen „viel aber ohne grundlegende Inhalt“.
Einige wenige wichtige Veränderungen bekamen leider nicht die Zustimmung
des Parlaments oder wurden so verändert, dass der eigentliche Vorschlag
nicht mehr zu erkennen war.
Eine dieser
Artikel, die das Recht auf freie Meinungsäußerung behandelte, kam
nicht durch.
Das Statut
des „Nationalen Sicherheitsrates“ (NSR), der politisch mehr zu sagen
hat als das Parlament und die Regierung, blieb unangetastet.
Das Verbot
von Parteien sollte im Land der „Parteienfriedhöfe“ erschwert werden,
dies geschah aber auch nicht.
Die Todesstrafe
sollte aufgehoben werden, dies geschah ebenfalls nicht.
Die Artikel
26 und 28 der türkischen Verfassung ließen „die Meinungsäußerung
oder Publikationen in einer gesetzlich verbotenen Sprache“ nicht
zu. Nach der Veränderung wurden diese Sätze gestrichen. Einige türkische
Zeitungen bezeichnen dies als „die Zulassung der kurdischen Sprache
bei Publikationen“. Doch ist das ein übler Trick. Denn es gibt eine
Reihe von Gesetzen, die das Veröffentlichen in kurdischer Sprache
verbietet.
Weder
die repressive Politik der Regierung dem kurdischen Volk gegenüber,
noch dessen Sprache und Kultur haben sich geändert.
Zumal
ist es zweifelhaft, dass sich in diesem Land, auch wenn es ernstzunehmende
Gesetzesänderungen gäbe, an der Praxis tatsächlich etwas ändern
würde.
Der Lausanner-Vertrag,
der das Fundament der Republik Türkei bildet, lässt Publikationen
in kurdischer Sprache zu. Artikel 39 dieses Vertrages besagt, dass
alle Bürger der Republik Türkei ihre Muttersprache auf allen Ebenen
ohne Hindernis frei ausüben können. Aber die Türkei hat diesen Artikel
permanent verletzt.
Wenn die
EU tatsächlich der willkürlichen Haltung der Türkei nicht den Weg
ebnen will, muss sie verifizierbare Garantien schaffen.
Niemals
haben die Kurden das Recht gehabt, ihre legalen kurdischen politischen
Parteien zu gründen und die Kurdenfrage frei und öffentlich zu diskutieren.
Solche Versuche wurden als schwerwiegende Straftat behandelt. Daher
war die kurdische Bewegung immer in die Illegalität gezwungen.
Das türkische
Regime, das die Existenz unseres Volkes und seine Rechte leugnet,
vergleicht der Kampf unseres Volkes mit der PKK und betrachtet ihn
als einen terroristischen Akt.
Der Kampf
des kurdischen Volkes gegen die Kolonialisten und Unterdrücker kann
nicht als terroristisch bezeichnet werden, wenn er auch bewaffnet
geführt werden würde.
Auf der
anderen Seite hat keine der Organisationen, die Teil unserer Plattform
sind, jemals mit terroristischen Aktivitäten zu tun gehabt. Wir
wollen in der Türkei legal und politisch mit unseren Namen und Programmen
arbeiten. Doch wird uns dieses Recht nicht zuerkannt.
Das türkische
Regime hat große Angst vor einer legalen kurdischen Bewegung.
In den
letzten 10 Jahren haben die Kurden versucht, ohne sich offen als
Kurden zu bezeichnen, sich legal zu organisieren. Diesen Parteien
wurde niemals die legale Möglichkeit eingeräumt, Programme zur Lösung
der Kurdenfrage zu erarbeiten, sie offen zu diskutieren und Lösungswege
aufzuzeigen.
Das Parteiengesetz
in der Türkei verbietet sogar den politischen Parteien, von der
Existenz einer anderen Kultur als der türkischen zu reden. Ein solcher
Akt ist Grund für den Verbot.
Die legalen
Parteien wurden großem politischen Druck ausgesetzt. Ihre Zentralen
und Zweigstellen wurden häufig von der Polizei überfallen. Ihre
Funktionäre wurden verhaftet oder ermordet. Ihre Aktivitäten wurden
verhindert und Versammlungen aufgelöst. Als ob dies nicht ausreichte,
wurden sie dann schließlich wie HEP, DEP, DDP und DKP verboten.
Die Abgeordneten von der DEP befinden sich immer noch im Haft.
Zusammenfassend
kann gesagt werden, das das kurdische Volk weder politisch noch
kulturell das Recht und die Möglichkeit hat, sich frei zu organisieren.
Die Verfassungsänderung hat auch diesen Tatbestand nicht geändert.
Fazit
Die Türkei
hat die von EU geforderten Hausaufgaben nicht erledigt. Es gibt
keine Bemühungen, sich an die Kopenhagener Kriterien anzupassen.
In dieser
Situation muss die EU ihren Prinzipien treu bleiben. Solange die
Türkei ihre Hausaufgaben nicht erfüllt, dürfen mit der Türkei keine
Beitrittsverhandlungen geführt werden.
Wir möchten,
dass die Türkei statt ständig zu mogeln, ehrliche Schritte in Richtung
Demokratisierung und zur Lösung der Kurdenfrage unternimmt.
Folgende
Schritte schlagen wir für die nahe Zukunft vor:
1. Eine demokratische Verfassung, die das Recht auf
freie Meinungsäußerung,
Gewissens- und Organisationsfreiheit garantiert.
2. Annullierung der antidemokratischen Gesetze und Erlasse
3. Gewährung der Versammlungsfreiheit
4. Anerkennung der Existenz der Kurden;
verfassungsmäßige Garantie der kurdischen Identität und Rechte
5. Freiheit für kurdische politische Parteien und freie
Diskussion über die Kurdenfrage
6. Aufhebung der Unterdrückung der kurdischen Sprache
und Kultur.
Rundfunk- und Fernsehsendungen in Kurdisch sowie Publikationsfreiheit
7. Baldiger Beginn mit Erziehung und Ausbildung in kurdischer
Sprache
8. Aufhebung des Ausnahmezustandrechtes und Auflösung
des Dorfschützersystems
9. Entschädigung und Rückkehrmöglichkeit für Millionen
vertriebener Menschen, deren Dörfer und Städte in den letzten 15
Jahren zerstört wurden
Diese
Schritte sind notwendig für die Demokratisierung der Türkei und
für den Friedenszustand, dadurch würden auch die Kopenhagener Kriterien
erfüllt.
Mit diesen
Schritten wird gewiss die endgültige Lösung der Kurdenfrage nicht
erreicht. Aber diese Schritte werden den Weg zu einer dauerhaften
Lösung ebnen.
Die Kurdenfrage
ist weder eine Frage der individuellen Rechte, noch eine Frage der
nationalen Minderheiten.
Die kurdische
Geschichte lässt sich Tausende von Jahren zurückverfolgen. Die Kurden
haben eine eigene Sprache und Kultur. Das kurdische Volk bildet
in seiner auf vier Staaten geteilten Heimat Kurdistan die Mehrheit.
Die gesamte Bevölkerungszahl der Kurden in der Region beträgt 40
Millionen. Fast die Hälfte davon lebt in Nordkurdistan und innerhalb
der Grenzen der Türkei.
Die Kurden
wollen wie alle ehrenhaften Völker dieser Erde frei in ihrem Land
leben. Sie wollen über ihre Zukunft selbst bestimmen.
Natürlich
gibt es bei den Organisationen, die unsere Plattform bilden, unterschiedliche
Auffassungen über die endgültige Lösung der Kurdenfrage. Einige
halten einen unabhängigen Staat, einige eine föderale Staatsform
für richtig. Unsere Gemeinsamkeit liegt darin, dass wir alle uns
für das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes in Freiheit
einsetzen.
Das heißt,
unser Volk wird im richtigen Zeitpunkt durch ein Referendum oder
durch den nationalen Vertretungsorgan darüber entscheiden.
Die türkische
Administration hält einerseits für die türkische Zyprioten, die
ein Fünftel der gesamten Bevölkerungszahl auf der Insel ausmachen,
die Föderation für nicht Adäquat und fordert einen konföderalen
Staat. Gleichzeitig ist die selbe Administration aber nicht einmal
bereit, Minderheitenrechte für die Kurden zu akzeptieren, die 90%
der Bevölkerung in ihrem Land, das heißt Türkisch-Kurdistan, ausmachen.
Sie ist
nicht mal bereit Rundfunk- und Fernsehsendungen, Bildung und Erziehung
in kurdischer Sprache zu akzeptieren. Wenn dies gefordert wird,
tobt sie vor Wut.
Das ist
keine realistische Annäherung an die Frage, sondern eine unglaublich
primitive Haltung der türkischen Regierung.
Das kurdische
Volk wird niemals diese Repression, Ungleichheit und Sklaverei akzeptieren.
Wir rufen
noch einmal die Türkische Regierung auf, realistisch zu handeln,
die Existenz der Kurden anzuerkennen und für eine gerechte Lösung
mit der kurdischen Seite in den Dialog zu treten, Kompromisse einzugehen.
Wir verlangen
von der EU, das Problem realistisch anzugehen und nicht mit Rücksicht
auf die Türkei zu handeln. Die EU sollte einerseits im Bezug auf
die Kopenhagener Kriterien standhaft handeln, aber auf der anderen
Seite das Kurdenproblem als ein nationales Problem anzusehen und
Lösungen zu entwickeln, die dieser Tatsache gerecht werden.
Ich danke
Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
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