Hinter den brutalen Morden
in Malatya steckt wieder einmal das Amt für Sonderkriegsführung
Hüseyin Azad
Zuerst wurde der katholische Priester Santoro
in Trabzon ermordet. Der Täter war ein 16-jähriger Junge,
die Auftraggeber jedoch wurden nicht bekannt…
Dann wurde Hrant Dink ( türkisch-armenischer
Journalist ) niedergeschossen. Sein Mörder, ein 17-jähriger
Junge, kam wiederum aus Trabzon. Die Spitze der Sicherheitskräfte
erklärte: „Dieser Junge hat den Mord aus nationalistischen
Gefühlen heraus begangen, es steckt keine Organisation dahinter!“
Somit hat man gleich zu Anfang die Hintergründe zu verbergen
versucht. Nachdem der Mord in der Öffentlichkeit große Empörung
hervorgerufen hatte, wurden die Ermittlungen neben dem Schützen
noch auf den Anstifter, und einen Polizeispitzel ausgeweitet.
Aber tiefer gingen sie nicht, sie konnten nicht.
Die Liste der in den Mord Verwickelten
ist sehr lang: die Leiter des Polizeipräsidiums von Trabzon
und Istanbul, das Polizeipräsidium selbst, die Verwaltungsleiter
und JİTEM ( Geheimorganisation der Gendarmerie ). Aber
keiner hat diese zur Rechenschaft gezogen, denn sie sind wohl
die Schuldigen aber gleichzeitig auch die Mächtigen und genießen
Immunität.
Nach dem Mord an Hrant Dink wurden am 18.
April 2007 in Malatya drei Mitarbeiter des Bibel Verlags
Zirve „im Namen des Islams“ an Stühle gefesselt, stundenlang
gefoltert und schließlich mit durchgeschnittenen Kehlen tot
zurück gelassen. Als Grund wurde die Missionarstätigkeit
und das Drucken und Verteilen der Bibel genannt.
Die fünf brutalen Mörder wurden festgenommen
und müssen sich jetzt vor Gericht verantworten. Schön und
gut, aber wer sind die Drahtzieher? Abermals wurden die wahren
Verantwortlichen seitens der Ermittler nicht belangt. Man
wollte so tun, als ob auch diesmal diese unmenschliche Tat
von einigen radikal nationalistischen und islamistischen Jugendlichen
begangen wurde, die sich nur durch Missionarstätigkeiten gestört
fühlten.
Die Ermittlungsphase war ein weiteres Dilemma.
Der zuständige Staatsanwalt hat, anstatt den Hintergrund der
Tat, die Verbindungen der Mörder und der Anstifter zu erhellen,
seine ganze Aufmerksamkeit und Untersuchung den Aktivitäten
der Opfer gewidmet und alle Mitglieder der protestantischen
Organisation in der Türkei, der auch die ermordeten angehörten,
deren Aktivitäten, ihre Namen, Adressen und Telefonnummer
in 14 großen Akten zusammen getragen. Es schien, als ob sie
die Schuldigen seien und nicht die Mörder. Er wollte wohl
beweisen, dass man durch Missionarstätigkeiten unseren Glauben
und unser Land bedrohen würde und so die Mörder zur Tat angestiftet
habe. Gleichzeitig machte er diese Mitglieder zur Zielscheibe
neuer “Patrioten und Gläubiger”. Vielleicht ist er selbst
ein “gläubiger” Bürger und ein “Patriot”! Es fehlte nicht
viel und er hätte schwerwiegende Provokation oder sogar Notwehr
als Motiv aufgeführt und Entlassung aus der Haft beantragt!
Laut neuester Informationen in den Medien
ist die Bandbreite des Hintergrunds dieser Morde nicht minder
gering als der Hrant Dink Mord. Die Täter, das heisst Sprösslinge
der Türkisch-Islamischen Synthese, haben vor den Morden genau
106 verschiedene Mobilfunkgeräte benutzt. Mit diesen Telefonen
wurden ein Staatsanwalt in Istanbul, jemand im Amt für Sonderkriegsführung
in Ankara, jemand in der Armeeunterbringung in Malatya ( wahrscheinlich
jemand vom Amt für Sonderkriegsführung oder JITEM) angerufen.Sie
verkehrten mit einem Oberst, einem Hauptmann, einem Staatsanwalt,
mit Dozenten, Politikern aus den Reihen der MHP (rechtsradikale
Partei) und RP (islamistische Partei). Erinnern wir uns:
Die Mörder des Priesters Santoro und Hrant Dink pflegten
genauso enge Beziehungen zu ähnlichen Kreisen und zur Vertreterpartei
der Türkisch-Islamischen Synthese, der BBP...
Es ist doch höchst seltsam, dass der ermittelnde
Staatsanwalt keinen Versuch unternommen hat, dieses weite
Telefonnetz aufzudecken. Er beschränkte sich einzig und alleine
auf die eigenen Mobilfunkgeräte der Mörder...
Die neu gewonnenen Erkenntnisse von den
Morden in Malatya zeigen deutlich, dass die Täter, genauso
wie bei den Morden an dem Priester Santoro und Hrant Dink,
von einem einflußreichen Netz angestiftet und von diesem
beschützt wurden. Dieses Netz umfasst kriminelle Vereinigungen,
die Sicherheitsbehörden des Staates und das ganze Land befallen
haben.
Susurluk, Şemdinli, Hrant Dink und
Malatya... All diese Vorfälle sind Taten des illegalen, immens
großen Mechanismus, die hier und da an die Oberfläche kommen...
Dieser riesige illegale Mechanismus ist für die einen „ein
Staat im Staat“, und für die anderen „der tiefe Staat“. Mit
hier und da platzierten Bomben will dieser Mechanismus Universitäten,
die Judikative, und alle anderen Behörden mit Drohungen mundtot
machen und die Politiker einschüchtern. Einerseits hält er
die Fobie des geteilt Werdens und des Terrors aufrecht und
führt gegen die Kurden Krieg, andererseits nährt er die Fobie
gegen das Kopftuch und den Islamismus, sieht sich gerne in
der Rolle des Retters. Dies verhindert die die Mitgliedschaft
zur EU und die Demokratisierung.
Die militaristisch-faschistischen Kreise
wollen anscheinend die Macht nicht aus der Hand geben. Das
ist ein Krieg der Kreise, die die Macht nicht aus der Hand
geben wollen und das ganze Land in einheitlicher Farbe, einheitlicher
Ethnie, einheitlicher Sprache, einheitlichem Glauben und einheitliches
Gedankengut regieren wollen.
Die Morde, die gegen Missionare durch
Aufstachelung passierten, sind ein Teil dieses Krieges. Während
Moslems ganz Europa mit Moscheen bedecken und den Islam problemlos
verbreiten dürfen, duldet dieser militaristisch- faschistische
Kreis, der auf die Türkisch-Islamische Synthese stützt, nicht
einmal Christen in der Türkei… Das sind seine Ansichten bezüglich
Religion, Recht, Gerechtigkeit und Moralverständnis!
Der ein paar Tage früher in Mardin entführte
syrisch-christliche Geistliche war wohl ein Glied in dieser
Kette. Er kam billig davon. Trotzdem hat man die sowieso in
ständiger Angst lebenden Syrer erneut hierdurch aufgeschreckt...
Wohin zieht dieses Land mit dieser Haltung?
Diese Frage muss man genauso Europäer fragen, die die Türkei
für “ einen wichtigen Partner und ein strategisches Land zwischen
Ost und West halten. Wie lange will man noch unter diesem
Vorwand den Faschismus, Rassismus, Völkermord tolerieren?
Zahlen die USA und Europa heute nicht den
Preis dafür, dass sie gegen das sozialistische System “den
Grünen Gürtel” für eine grandiose Idee hielten? Jetzt kämpfen
sie eben gegen die Früchte dieser Politik: El Kaide, Hisbollah
und Hamas etc.
Was gestern in Maras und Corum, heute in
Trabzon und Malatya passierte, sind die Früchte der gleichen
Machenschaften, die man in der Tükei gesät hat. Diese giftigen
Gräser treiben jetzt im ganzen Land, verbreiten sich wie ein
Netz und klettern die Balkone ihrer Meister, die sie säten...
Man sagt nicht umsonst, wer Wind erntet,
der sät Sturm...
Übersetzung aus dem Türkischen.
von Bediye Eskin
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