PSK PSK BultenKOMKARRoja NûWeþan / YayýnLinkArþiv
Dengê Kurdistan
PSK
PSK Bulten
KOMKAR
Roja Nû
Weþan/Yayýn
Arþiv
Link
Pirs û Bersiv
Soru - Cevap
Webmaster
 
 
 


PSK-BERICHT
ÜBER DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER EU UND DER TÜRKEI
SOWIE DEN EU-BEITRITT DER TÜRKEI

 

Wie weit ist die Türkei auf dem Weg in die EU?

    - Hat die Türkei die Forderungen im Beitrittspartnerschaftsdokument erfüllt? Was sagen die Veränderungen in der Verfassung aus?
    - Ist die Türkei ein laizistisches Land?
    - Was hat sich an der Situation der Kurden geändert?
    - Was wurde durch das „EU-Anpassungspaket“ erreicht?
    - Die Türkei hat die Beschlüsse des Lausanner Vertrages mit Füßen getreten. Nun versucht sie die Kopenhagener Kriterien mit einem „Bypass“ zu umgehen
    - Die Türkei wurde zur Geisel der Kurdenfrage
    - Was ist die Lösung in dieser Situation?
    - Die grundlegende Lösung für die Kurdenfrage
    - Die EU muss an ihren Normen und Prinzipien festhalten

Wie weit ist die Türkei auf dem Weg in die EU?

Die Europäische Union hat eine lange Zeit ernsthafte Schritte für die Lösung der Zypern- und der Kurdenfrage sowie die Erfüllung der in den Kopenhagener Kriterien genannten Forderungen zur Bedingung für die Aufnahme der Türkei in den Kandidatenstatut für den EU-Beitritt gemacht. Doch die Türkei hat, scheinbar den Beitritt in die EU sehnlichst erwartend, sich beharrlich geweigert, die betreffenden Schritte nicht zu unternehmen.

Dieser Haltung zum Trotz hat die EU im Dezember 1999 bei dem Gipfel in Helsinki ihre Taktik geändert und die Türkei als Anwärter für die Kandidatur akzeptiert; mit der Begründung, dadurch die Türkei leichter beeinflussen und sie dazu bringen zu können, die geforderten Reformen zu realisieren.

Doch die Türkei hat ihre gewohnte Haltung fortgesetzt. Etwa ein Jahr nach dem Helsinki-Gipfel, am 8. November 2000, hat die EU der Türkei mit dem „Beitrittspartnerschaftsdokument“ einen Zeitplan für die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien und der Lösung der Zypernfrage vorgegeben. Dieses Dokument war außerordentlich kompromissreich. Die Kopenhagener Kriterien waren ausgedehnt worden, die Kurdenfrage wurde nicht beim Namen genannt. Dennoch kochten die türkischen Führer und die türkische Presse über vor Wut gegen die EU. Sie behaupteten, die EU wolle Zypern den Griechen schenken und die Europäer versuchten, die Türkei zu teilen.

Ministerpräsident Ecevit sagte: „Die Europäer haben uns betrogen!“

Außenminister Cem brauste auf: „Einige Europäer sehen uns als ihre Kolonie an und verhalten sich wie Kolonialherren!“

Es war offensichtlich, dass die türkische Führung weder zur Veränderung gewillt war, noch zur Lösung der Zypern- und Kurdenfrage. Auch hatte sie nicht vor, ihren Staatsbürgern zeitgemäße Menschenrechte zuzugestehen.

Schließlich präsentierte die Türkei, nachdem sie die EU hingehalten hatte und die gesetzte Frist verstreichen ließ, im März 2001 der EU ihren „Nationalbericht“, der eine Vielzahl der wichtigen, grundlegenden Forderungen im Beitrittspartnerschaftsdokument außer acht ließ.

Mit der Aussage, „die Türkei ist ein Unitarstaat, ihre offizielle Sprache ist Türkisch“, wurde die Existenz anderer Völker, Sprachen und Kulturen sowie die Gewährung von Rechten an diese Gruppen abgelehnt. Kulturelle Rechte wurden auf Individualrechte reduziert.

Auch wenn sie den Nationalbericht als ungenügend bewertete, hat die EU ihn als einen positiven Schritt angesehen und seine Haltung der „Motivation und Ermutigung“ fortgesetzt.

Hat die Türkei die Forderungen im Beitrittspartnerschaftsdokument erfüllt?
Was sagen die Veränderungen in der Verfassung aus?

In der folgenden Periode hat die Türkei, um einige Versprechungen im Nationalprogramm zu erfüllen, Veränderungen in der Verfassung vorgenommen. Ein Teil der im Jahr 2001 geplanten Veränderungen, die aus der Sicht der Demokratisierung einigermaßen tauglich waren, blieben im Nationalen Sicherheitsrat, also bei den Militärs, auf der Strecke. Die übrigen waren allenfalls Retuschen.

Eigentlich war die Verfassung von 1982, ganz so wie es die angesehensten Juristen und Anwaltskammern auch festgestellt haben, ein Produkt der Militärjunta vom 12. September. Sie war vom Anfang bis zum Ende antidemokratisch und es war unmöglich, sie durch einige Retuschen geradezubiegen. Sie war, wie Sami Selcuk, Vorsitzender des Revisionsgerichtes, es sagte, “eine Polizeisatzung” und es war notwendig, sie beiseite zu schieben und eine vollkommen neue Verfassung zu erarbeiten.

Die 1982er Junta-Verfassung war nicht dazu erlassen worden, um die Rechte und Freiheiten des Staatsbürgers zu garantieren, sondern ganz im Gegenteil, den repressiven Staat gegen den Staatsbürger zu schützen, den man nicht ernst nahm, dem man nicht traute und vor dem man sich fürchtete. Aus diesem Grund wurde sie zu einer Zwangsjacke, die die Rechte und Freiheiten so weit wie möglich einschränkte und unbrauchbar machte.

Diese Verfassung ist vom Anfang bis zum Ende mit einem rassistisch-chauvinistischen Verständnis geschrieben. Die Präambel ist eine unvergleichlich rassistische Tirade. Während die türkische „Rasse“ und Kultur in den Vordergrund gestellt und zu einem Fetisch erhoben wird, wird die Existenz anderer Völker und Kulturen verleugnet und steht ohne Schutz da.

Mit dieser “Verfassung” und ähnlichen anderen Gesetzen werden die Menschenrechte und Freiheiten diesen rassistisch-chauvinistischen Werten entsprechend eingeschränkt, das Recht auf Meinungs-, Presse-, Organisations- und Demonstrationsfreiheit eliminiert.

Dieses System ist antidemokratisch, repressiv und primitiv. Die Praxis übersteigt sogar das Maß an Geschmacklosigkeit und Willkür um ein Vielfaches. Das wird wohl der Grund sein, warum es in der Türkei keine Meinungsfreiheit gibt, andererseits jedoch zu jeder Zeit Tausende von politischen Häftlingen in den Gefängnissen der Türkei ihr Dasein fristen. Ausschließlich wegen ihrer Schriften und Reden werden Schriftsteller, Künstler, Politiker und auch einfache Bürger festgenommen, zu schweren Strafen verurteilt und geschunden. In diesem System werden ständig politische Parteien verboten. In diesem System sind friedliche Versammlungen und Demonstrationen vollkommen der Lust und Laune der Polizei und der Gouverneure überlassen. In der Praxis wird Regimegegnern dieses Recht niemals gewährt. In diesem System hört die Folter nicht auf. In diesem System besitzen weder das 20 Millionen Menschen zählende Volk der Kurden, noch die anderen Minderheitenvölker kulturelle oder nationale Rechte und Freiheiten. Forderungen dieser Art zählen zur schwerwiegenden Straftat der “Teilung von Vaterland und Nation” und werden gnadenlos bestraft. Das Gesetz für politische Parteien verbietet es sogar zu sagen, dass in der Türkei andere Sprachen als Türkisch und andere Kulturen existieren. Dies stellt ein Grund zur Schließung einer Partei dar.

Bekanntlich ist die Türkei in der Vormundschaft des Nationalen Sicherheitsrates, der über der zivilen Politik, der Regierung und dem Parlament steht und besondere Ermächtigungen besitzt. Es wurden keinerlei Veränderungen innerhalb dieser halb-militärischen Institution vorgenommen, die in Wahrheit den Wünschen der Generäle entsprechend agiert.

Ist die Türkei ein laizistisches Land?

Ebenso, wie das Regime in der Türkei nicht demokratisch ist, ist sie entgegen der Behauptungen auch nicht laizistisch. Sowohl die 15 bis 20 Millionen Aleviten, die in der Türkei leben, als auch die Yeziden werden unterdrückt. Auch die Assyrer und andere christliche Gruppen leiden darunter.

In den Schulen ist der Religionsunterricht ein Pflichtfach. Grundlage dieses Unterrichtes ist der sunnitische Islam. So sind alle, auch die Angehörigen anderer religiöser Gruppen wie der Aleviten, Yeziden und der Christen gezwungen, in den Schulen die Regeln, die Gebete und den Namaz (das rituelle Tagesgebet gen Mekka) des sunnitischen Islam zu lernen.

Der Staat stattet die Anstalt für Religionsangelegenheiten mit Tausenden von Mitarbeitern und einem großen Budget aus und zwingt der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken eine bestimmte Ausrichtung des sunnitischen Glaubens (Hanefiten) auf.

Daneben existiert auch eine etwas privilegiertere islamische Schicht, die von Zeit zu Zeit zur Zielscheibe der Repressionen des kemalistischen Regimes wird, das meint, sich in den Glauben und den Lebensstil seiner Bürger einmischen zu dürfen. Die repressive Haltung des Regimes gegen das Kopftuch ist ein konkretes und lebendiges Beispiel der letzten Jahre dafür. Der Staat hetzt – je nach Situation – die islamische Bewegung manchmal gegen die Linke und die kurdische Nationalbewegung auf, manchmal erscheint sie ihr zu gefährlich und wird beschnitten.

Was hat sich an der Situation der Kurden geändert?

Die türkische Presse hat die Verfassungsänderung im Jahr 2001 mit lautem Gepolter als einen “Demokratisierungscoup” präsentiert. Angeblich sollten die Hindernisse vor Bildung und Sendungen in der Muttersprache aufgehoben werden. Doch weder entsprach das den Tatsachen, noch hatte das Regime einen solchen Willen. Tatsächlich wurden in der folgenden Zeit kurdische Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, die Bildung in der Muttersprache oder Kurdisch als Wahlfach forderten, und die kurdischen Lehrer, die dies unterstützten, verschiedenen Repressionen ausgesetzt. Sie wurden beschuldigt, Mitglieder der “Terrororganisation” zu sein und eine von ihr gelenkte Kampagne durchzuführen. Hunderte wurden festgenommen, gefoltert und verhaftet. Die Gerichtsverfahren dauern noch an.

Genau in der Periode nach der Verfassungsänderung wurden auf Befehl des Innenministeriums kurdische Namen verboten. Diese Namen würden “nicht mit der türkischen Kultur zu vereinbaren sein”! Staatsanwälte haben in zahlreichen Provinzen Kurdistans wie auch im Westen der Türkei Verfahren eröffnet, um die Namen der kurdischen Kinder zu ändern.

Auch in dieser Periode wurden Zeitschriften, Zeitungen und Bücher, die ganz oder teilweise in Kurdisch waren oder die Kurdenfrage behandelten, konfisziert, gegen die Autoren und Herausgeber wurden Anklagen erhoben, Strafen wurden verhängt. Darunter befinden sich der berühmte Autor Ahmet Altan und der Dozent Fikret Baskaya. Diese Publikationen durften nicht nach Kurdistan eingeführt werden. Diese Praxis dauert heute noch an.

Selbst die Verfolgung der kurdischen Musik ging in dieser Periode weiter und wurde sogar verschärft. So wurde beispielsweise in Diyarbakir ein Minibusfahrer, der in seinem Minibus kurdische Musik abgespielt hatte, allein aus diesem Grund zu 3,5 Jahren Strafe verurteilt, weil er durch das bloße Abspielen der kurdischen Musik eine “terroristische Organisation unterstützt hatte”.

Der seit Jahren in Kurdistan herrschende Ausnahmezustand wurde bis auf Diyarbakir und Sirnak beendet. Doch in Wirklichkeit ist das Ausnahmezustandsrecht, das in den 24 Jahren Ausnahmezustand praktiziert wurde, nicht beendet. Die außerordentlichen Ermächtigungen, die den Gouverneuren und der Polizei mit verschiedenen Gesetzen ermöglicht wurde, gelten immer noch und rechtfertigen willkürlichen Praktiken. Die Situation wendet sich einfach nicht zur Normalität.

Die türkische Regierung plant den Ausnahmezustand ganz aufzuheben und an seine Stelle ein anderes außerordentliches System, das “Südost-Staatssekretariat” genannt wird, zu installieren. Dies bedeutet nichts anderes, als die Fortsetzung des Regionalen Ausnahmezustandsgouvernements unter einem anderen Namen. Anders gesagt, das Regime hat nicht vor, die Situation in Kurdistan zum Normalen wenden zu lassen.

Um die soziale und wirtschaftliche Situation in der Region zu verbessern, leistet das Regime nichts anderes als leere Worthülsen zu produzieren. Sie unternimmt keinerlei konkreten Schritte.

Eine der Schritte, die unternommen werden müssen, ist die Unterstützung der Millionen Menschen, deren Dörfer und Häuser während des schmutzigen Krieges zerstört und die dadurch zur Flucht gezwungen bzw. vertrieben wurden. Der Weg zur Rückkehr in ihre Dörfer hätte geebnet werden müssen, der Staat hätte sie beim Verbinden ihrer Wunden unterstützen müssen. Doch obwohl immer wieder gesagt wurde, dass die Erlaubnis zur Rückkehr in die Dörfer erteilt werden wird, findet in der Praxis eine systematische Behinderung dessen statt. Die Sicherheitskräfte des Staates, die Polizei, die Gendarmerie und die paramilitärischen Dorfschützer, erlauben eine Rückkehr nicht und bedrohen diejenigen, die zurückkehren möchten. Wer trotzdem zurückkehrt, ist Angriffen und Repressionen ausgesetzt und bereut seine Rückkehr. So wurden zum Beispiel vor Kurzem in dem Dorf Nureddin in der Region Mus, drei Personen, die in ihr Dorf zurückgekehrt waren und dort das Gras auf ihren Weiden schnitten, durch paramilitärische Dorfschützer ermordet. Gegen die Schuldigen wurde keine Strafverfolgung eingeleitet. Zuvor waren Bewohner des Dorfes Marinus bei Hakkari ermordet worden, als sie in ihr Dorf zurückkehrten, um die Walnussernte einzuholen. Zahlreiche Vorfälle dieser Art können aufgelistet werden.

Deswegen bleiben diejenigen, die aus der Vertreibung zurückkehren können, nur eine verschwindend kleine Minderheit. In den Vororten der Großstädte, wo sie Zuflucht finden, fristen die meisten ohne eine Unterkunft, ohne Arbeit oder Bildung ihr armseliges Dasein. Auf diese Weise ist das gesamte ländliche Gebiet Kurdistans noch weit von jeglicher Produktion entfernt und bleibt zerstört. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit deprimieren die Bevölkerung in dieser Region.

Dieser Zustand und auch die Vorkommnisse, von denen oben beispielhaft die Rede ist, sind in der Presse und in der Weltöffentlichkeit registriert worden. Um es zusammenzufassen: Das Regime führt einerseits Reformen durch, um sich angeblich der EU anzupassen, andererseits vermeidet sie ernstzunehmende Veränderungen und wird in seinem Bestreben, das aktuell existierende repressive, primitive System zu schützen, noch aggressiver.

Dies ist nichts anderes als eine verlogene, doppelzüngige Politik.

Was wurde durch das „EU-Anpassungspaket“ erreicht?

Und das am 2. August 2002 im türkischen Parlament verabschiedete, aus 14 Artikeln bestehende EU-Anpassungspaket? Was wird tatsächlich damit erreicht?

Die türkischen Staatsmänner, Politiker und die regimetreuen türkischen Presseorgane jubeln lautstark, die Türkei hätte nun alle Forderungen, auch die in den Kopenhagener Kriterien genannten, erfüllt. Politiker wie Presse sprechen von „Riesenschritten“, die unternommen wurden. Die innere und äußere Öffentlichkeit wird einem noch nie da gewesenen Propagandabombardement ausgesetzt. „Der Ball ist nun im Feld der EU, sie muss der Türkei nun Termine für Verhandlungen geben“, sagen sie.

Doch die tatsächliche Situation ist wieder einmal ganz anders, als von ihnen dargestellt. Die unternommenen Schritte sind weit davon entfernt, die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen. Auch ist es unklar, ob sie in die Praxis umgesetzt werden. Klar ist jedoch zweifellos, dass die Praxis wie die bisherige sein wird!

Was enthält das 14 Artikel umfassende EU-Anpassungspaket?

Einer der Artikel betrifft die Todesstrafe. Durch die Veränderung wird die Todesstrafe bis auf „Kriegssituationen oder drohende Kriegssituationen“ aufgehoben. Sicherlich ist das positiv. Seit 1984 wurde sowieso auf die Vollstreckung von gerichtlich erteilten Todesstrafen verzichtet, um nicht die Kritik der äußeren Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Aber das war auch nicht nötig, denn die Vollstreckung geschah auf anderem Wege. Beispielsweise haben Geheimorganisationen, die unter staatlicher Kontrolle stehen, die sog. „Morde unbekannter Täter“ verübt. In den vergangenen 20 Jahren wurden auf diese Weise Tausende von Intellektuellen und Demokraten, die dem Regime nicht passten, insbesondere kurdische Patrioten, ermordet. Die Täter blieben für immer unbekannt. Ein anderer Weg ist die offene Hinrichtung durch die Exekutive des Staates, die Polizei und das Militär. Auf dem Lande, in Städten, in den Gefängnissen oder selbst in den Wohnung der Opfer, vor den Augen der Öffentlichkeit kam es so zu zahlreichen extralegalen Hinrichtungen von Tausenden unschuldiger Menschen, die nichts mit Terror zu tun hatten.

Wir denken nicht, dass solche Praktiken ein Ende finden werden. Am 15. August 2002 hat das Büro des Menschenrechtsvereins in Diyarbakir erklärt, dass in den vergangenen zwei Monaten allein in Kurdistan 10 weitere Menschen durch „Hinrichtungen ohne Verurteilungen“ und durch „Morde unbekannter Täter“ getötet wurden.

In der Türkei ist Folter angeblich verboten und eine Straftat. Doch die Mühlen des Folters drehen sich ununterbrochen und systematisch weiter.

Demonstrationen sind angeblich frei. Doch noch im vergangenen Jahr wurden diejenigen, die für den Frieden demonstrieren wollten, brutal verprügelt.

Eine der durch das EU-Anpassungspaket durchgeführten Änderungen betrifft die Bildung in der Muttersprache. Diese Änderung erlaubt weder dem kurdischen Volk, noch anderen Gruppen, die eine andere Sprache sprechen als Türkisch, das Recht auf Bildung in der Muttersprache. Ein Drittel der Bevölkerung der Türkei, also 20 Millionen Kurden die die erdrückende Mehrheit in ihrem Land Kurdistan stellen, dürfen keine Bildungseinrichtungen haben, die in ihrer Muttersprache unterrichten. Es wird keine Grundschule, keine Mittelschule, keine Oberschule geben, die in Kurdisch unterrichtet. Für die Interessenten wird es außerhalb der Unterrichtszeiten „Kurse zum Erlernen von Sprachen“ geben. So, als würde man Japanisch oder Englisch lernen. Selbstverständlich wird der Staat hierfür nichts ausgeben. Diese Kurse werden privat und gegen Gebühr angeboten.

Dies ist nicht das Recht auf Bildung in der Muttersprache, sondern eine gemeine Art, sich über Menschen lustig zu machen. Selbst das Recht von Kurden und anderen Migrantengruppen in verschiedenen europäischen Staaten, Muttersprachlichen Unterricht zu erhalten, geht weit darüber hinaus. In Staaten wie Schweden und Deutschland gibt es beispielsweise sogar Kindergärten, die Bildung in der Muttersprache anbieten. In diesen Ländern, in Holland und in anderen Ländern Europas auch haben kurdische Kinder das Recht, in ihrer Muttersprache auf Grundschulniveau unterrichtet zu werden. Dieser Unterricht findet in den Schulen statt und die Gehälter des für diese Aufgabe eingestellten Lehrpersonals wird vom Staat bezahlt. In Schweden gibt es beispielsweise auch eine Schule, in der Lehrer für Kurdisch ausgebildet werden.

Diese Rechte sind den etwa 30 bis 40 Tausend Kurden zuerkannt, die in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge oder Arbeiter nach Schweden gekommen waren, viele von ihnen sind vor dem Folter und der Verfolgung des türkischen Regimes geflohen.

Das heißt also, dass die Türkei einen Drittel seiner Staatsbürger, 20 Millionen Kurden, die in Kurdistan die erdrückende Mehrheit darstellen, nicht für würdig genug hält, um ihnen dieses Maß an Recht auf Bildung zuzuerkennen. Dabei sind diese Menschen nicht einmal Einwanderer. Sie lebten bereits Tausende von Jahren vor den Türken, die sich von Zentralasien auf den Weg machten und Anatolien und Thrazien okkupierten, in diesem Land.

Bleibt noch zu sagen, dass es keine Überraschung wäre, wenn sogar die Realisierung dieser Kurse auf vielfältige Art verhindert würde.

Bei dem Recht auf Sendungen in der Muttersprache verhält es sich ähnlich. Angeblich sind die Hindernisse vor Sendungen in anderen Sprachen als Türkisch aufgehoben worden. Aber es wird jetzt schon mitgeteilt, dass dieses Recht nur sehr restriktiv und unter der Kontrolle des Staates umgesetzt wird. Allenfalls könnte es eine täglich 15 bis 30-minütige Sendung geben.

Ist das nicht lächerlich für ein Volk von 20 Millionen Menschen? Ist das die Art, wie das Recht auf Sprache und Kultur zuerkannt wird? Das ist, als würde man für einen Verdurstenden täglich ein halbes Glas Wasser als ausreichend ansehen.

Die Türkei hat die Beschlüsse des Lausanner Vertrages mit Füßen getreten
Nun versucht sie einen „Bypass“ um die Kopenhagener Kriterien zu legen

Als Begründung für die Verweigerung von grundlegenden kulturellen und politischen Rechten für die Kurden sagt das türkische Regime, die Kurden seien keine Minderheit. Sicherlich sind die Kurden keine Minderheit, denn sie sind in ihrem eigenen Land sogar die Mehrheit. In ihrem viergeteilten Land von der Größe Frankreichs leben rund 40 Millionen Kurden und davon 20 Millionen wiederum in Nordkurdistan, also innerhalb der Grenzen der Türkei. Wenn solch ein Volk als Minderheit angesehen würde, dann wäre das lächerlich. Die Wurzeln der Kurden reichen Tausende von Jahren in die Vergangenheit, sie haben eine eigene Sprache, Geschichte und ein eigenes Land. Mit den Türken, den Arabern und der Persern sind sie eine der vier großen Nationen im Nahen Osten. In der Lausanner Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg, bei der die Republik Türkei anerkannt wurde, sagte der türkische Repräsentant Ismet Pasa: „Kurden sind mit Türken die ursprünglichen Elemente unseres Landes. Minderheitenrechte werden diese hohe Nation nicht befriedigen. Die Regierung in Ankara ist die Regierung sowohl der Türken als auch der Kurden.“

Doch nach Lausanne haben sie die Kurden ignoriert. Nicht einmal Minderheitenrechte haben sie ihnen zuerkannt, ganz zu schweigen, dass Kurden als die „ursprünglichen Elemente“ bezeichnet wurden, also den Türken gleichgestellt. Der türkische Staat hat nicht einmal das im Lausanner Vertrag genannte Recht auf die eigene Sprache und Kultur umgesetzt.

In Artikel 39 des Vertrages von Lausanne heißt es: „Alle Staatsbürger der Republik Türkei können in Presse und Publikationen und in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ihre Muttersprache ohne jede Einschränkung nutzen.“

Das bedeutet also, dass für das Recht auf Presse und Publikation in Kurdisch und in den anderen Sprachen, Radio- und Fernsehsendungen eingeschlossen, weder der Eintritt in die EU, noch die Kopenhagener Kriterien notwendig sind. Dieses Recht steht ihnen durch den Lausanner Vertrag ohnehin schon zu. Doch die Türkei hat Beschlüsse dieses Vertrages rücksichtslos mit den Füßen getreten, die Publikation von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern in Kurdisch verboten und von Zeit zu Zeit selbst das Sprechen in Kurdisch verboten und diejenigen, die Kurdisch gesprochen haben, bestraft. Sie hat also sogar den „Gebrauch von Kurdisch in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“ verboten. Wenn die Kurden gegen diese Ungleichheit und gegen die Unterdrückung ihre Stimme erhoben und Widerstand geleistet haben, wurden sie gnadenlos niedergeschlagen. Die Staaten, die den Lausanner Vertrag mit ratifiziert haben, blieben angesichts dieser Praktiken bloß Zuschauer.

Auch heute fährt die Türkei fort, den Vertrag von Lausanne mit den Füßen zu treten. Sie hat vor, bei ihrem Eintritt in die EU mit den Kopenhagener Kriterien ähnlich zu verfahren und versucht sie mit einem „Bypass“ zu umgehen.

Das EU-Anpassungspaket, wovon nun die Rede ist, stellt aus der Perspektive der Rechte und Freiheiten keine ernste Öffnung dar. Beispielsweise gibt es in zahlreichen Gesetzen wie dem Strafgesetz, dem Terrorbekämpfungsgesetz, dem Pressegesetz und dem Gesetz für politische Parteien unzählige Bestimmungen, die Rechte im Bereich der Meinung, des Glaubens, der Presse, der Organisation, der Versammlung und der Demonstration verhindern. Diese haben nach wie vor Gültigkeit.

Beispielsweise verbietet Artikel 81 des Gesetzes für politische Parteien, von der Existenz und der Schutzwürdigkeit anderer Sprachen und Kulturen als der Türkischen in der Türkei zu sprechen und sieht bei Zuwiderhandlung einen Grund für die Schließung der Partei.

Seit der Vergangenheit ist es verboten, bei Versammlungen von politischen Parteien und sogar von Vereinen Kurdisch zu sprechen. Daran hat sich nichts geändert. Folgerichtig hat die Wahlkommission direkt nach der Veröffentlichung des „Anpassungspaketes“ verlautbart, dass beim Wahlkampf für die anstehenden Parlamentswahlen am 3. November es verboten ist, andere Sprachen als Türkisch zu benutzen. Es wird also als ein Verstoß gegen die Wahlkampfregeln gewertet, wenn Parteien sich in Kurdisch an Kurden wenden, die die türkische Sprache nicht verstehen.

Dies macht deutlich, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass auch in der Zukunft die Kritik an der Kurdenpolitik der Türkei, der Widerstand gegen die Repressalien, die Forderung nach Recht und Freiheit für das kurdische Volk wieder als eine Straftat bewertet wird, wieder als ein Versuch, „Staat und Nation“ zu teilen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass in Zukunft politische Parteien nicht deswegen geschlossen werden, weil sie sich dem Terror zuwenden oder den Terror unterstützen, sondern allein aufgrund ihrer Ansichten.

Es besteht kein Zweifel daran, dass von nun mannigfaltige Gründe gefunden werden, um Parteien und Vereine, die von Kurden gegründet werden und konstruktive Vorschläge für die Lösung der Kurdenfrage unterbreiten, an ihrer Arbeit zu hindern. So wird zum Beispiel Abdülmelik Firat, Vorsitzender der Partei für Rechte und Freiheiten (HAK-PAR), seit fünf Jahren daran gehindert, ins Ausland zu reisen. Auch nach dem jüngstem „Anpassungspaket“ hat sich an seiner Situation nichts geändert. Firat war in den vergangenen zwei Parlamentsperioden Abgeordneter und es laufen keinerlei Verfahren wegen einer Straftat gegen ihn.

Selbst die Reisefreiheit von Ausländern wird eingeschränkt, auch wenn es sich dabei um Diplomaten handelt, wenn der Reisegrund mit Kurden zusammenhängt. Das jüngste Beispiel dafür erlebten wir erst vor wenigen Tagen, kurz nach der Verabschiedung des „Anpassungspaketes“. Eine Gruppe von Abgeordneten und Mitgliedern der schwedischen Grünen, die über die Türkei in den Irak reisten, wurden am Grenzübergang Habur von türkischen Sicherheitskräften angehalten und zur Rückkehr gezwungen, obwohl die Gruppe im Besitz von gültigen Visa vom irakischen Konsulat war.

Es besteht kein Zweifel daran, dass von nun an Zeitschriften, Zeitungen und Bücher, die in Kurdisch erscheinen und von der Kurdenfrage handeln, konfisziert werden, ihr Vertrieb behindert wird, die Autoren und Herausgeber angeklagt werden und es Gefängnis- und Geldstrafen regnen wird.

Das jüngste Anpassungspaket hat nicht für ein Ende der Drohungen und der Repressionen gegen die Presse gesorgt, in mancherlei Hinsicht wurden sie sogar verstärkt. Beispielsweise wurde bei einigen Verstößen gegen das Pressegesetz die Gefängnisstrafe aufgehoben, jedoch wurde auf der anderen Seite die Geldstrafe erheblich erhöht, es sind Strafen bis zu 100 Milliarden Lira möglich. Das ist insbesondere für kleinere und mittlere Presseorgane tödlich. Das wird wohl auch der Grund sein, warum sogar Staatspräsident Sezer diese Veränderung als „widersprüchlich und maßlos gegenüber der Pressefreiheit und der Demokratie“ bewertete und vor dem Verfassungsgericht Widerspruch gegen diesen Artikel einlegte.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die kurdische Musik, Kultur und Lebensart auch weiterhin zum Ziel vielfältiger Unterdrückung werden wird und dass von dieser Unterdrückung auch die Freunde der Kurden und die demokratischen Türken wie auch Fremde betroffen sein werden.

Es besteht deswegen kein Zweifel daran, weil sich das System nicht geändert hat. Das System der labyrinthartigen Verbote besteht weiter fort.

Weitaus wichtiger ist es zu wissen, dass das Regime nicht zu einer Veränderung gewillt ist. Denn dieses Regime ist ein Regime der Unterdrückung und seine Ideologie, quasi sein Mörtel, sind rassistisch-chauvinistische Vorurteile. Das ist die grundlegende Besonderheit dieser Ideologie.

Die Führer dieses Landes – gestern wie heute - sind aus einem Guss, es gibt kein Unterschied zwischen ihnen. Es besteht kein Unterschied zwischen dem angeblich „demokratischen linken“ Ecevit und dem rassistischen Führer der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP), Bahceli, der sich damit rühmt, der Rasse der Wölfe abzustammen. Justizminister Hikmet Sami Türk, der damit begonnen hat, die politischen Häftlinge in den F-Typ Gefängnissen in Isolationshaft zu stecken und sie physisch und moralisch zu vernichten, gehört der DSP an. Er ist es auch, der einige Vorschläge für demokratische Reformen im Anpassungspaket bis zur Unkenntlichkeit beschnitten hat. Innenminister Rüstü Kazim Yücelen, der kurdische Namen verboten hat, gehört der ANAP von Mesut Yilmaz an, der sich damit rühmt, für den EU-Beitritt zu sein.

Keine der Systemparteien, die im Parlament vertreten sind und seit Jahren zwischen Führung und Opposition hin und her wechseln, ist gegen diese rassistisch-chauvinistische Ideologie des Türkentums. Wäre sie dagegen, so würde sie nicht mehr existieren.

Keine der Parteien, die das Land bisher regiert haben, ist für die Anerkennung der Rechte der Kurden. Denn die nationale Politik in diesem Land basiert auf der Idee, andere als die Türken für null und nichtig zu erklären und zu vernichten. Nur so kann in der sogenannten „Türkei“, in Anatolien, Thrazien und Kurdistan, wo die große Mehrheit der Bevölkerung nicht türkisch ist, die große Nation der Türken erschaffen werden!

Die Armenier wurden zum Opfer des Völkermordes. Teile der Griechen in Thrazien wurden ermordet bzw. vertrieben. Lazen, Tscherkessen, Albaner und andere wurden zum großen Teil zwangsassimiliert. Die Zwangsassimilation der Kurden dauert nun über Hundert Jahre mit Methoden wie Völkermord, Vertreibung, Sprach- und Kulturverbot ununterbrochen an.

Der wirkliche Plan, den das türkische Regime für Kurdistan vorsieht und zu realisieren versucht, wurde vor zwei Jahren in türkischen Zeitungen unter dem Titel „Geheimer Aktionsplan“ veröffentlicht. Die Hauptziele dieses Plans sind Kurdistan kurdenfrei zu machen, die kurdische Sprache und Kultur zu vernichten und somit die Kurdenfrage auszuradieren. Staudammprojekte, die die historischen Städte Kurdistans, die fruchtbaren Landwirtschaftsregionen und die Täler mit den unvergleichlichen natürlichen Schönheiten unter den Fluten begraben werden, sind Teil dieses Plans. Die Architekten dieser Pläne, Ecevit eingeschlossen, sind die zivilen und militärischen Kader, die die Türkei von gestern bis heute führen. Verglichen damit sind der Österreicher Haider und der Franzose Le Pen nur Leichtgewichte. Folglich unterscheidet sich die türkische Führung, die heute vor den Türen der EU steht, nicht von ihren Vorgängern.

Im 20. und 21. Jahrhundert kann diese Unterdrückungspolitik nur mit Gewalt und Terror aufrechterhalten werden. Eine Politik, die zu nicht Enden wollenden inneren Spannungen führt, die Konflikte im In- und Ausland provoziert, die Ressourcen des Landes vergeudet und damit das Land in Unfrieden stürzt, die Einwohner ohne Brot und Arbeit lässt, dient auch nicht dem Nutzen des türkischen Volkes. Das türkische Volk ist, auch wenn es durch den seit Jahrzehnten wehenden Wind des Chauvinismus beeinflusst wurde und die Vorurteile zu einem bestimmten Maß mitträgt, für eine Veränderung. Es wünscht den Eintritt in die EU, die wirtschaftliche Entwicklung, Demokratie und Frieden. Das ist auch der Grund, warum das Regime dem türkischen Volk nicht vertraut und die ständige Kontrolle über das Volk braucht.

Das Regime, das dem kurdischen Volk die Freiheit vorenthält, enthält dem türkischen Volk die Demokratie vor. Es setzt auf Gewalt und hat kein Vertrauen in sich selbst.

Die Türkei wurde zur Geisel der Kurdenfrage

Es gab in den vergangenen Jahren zwei Hauptgründe für die türkische Führungsklasse, sich gegen die Demokratie zu wehren: der Kommunismus und die Angst vor Kurden. Damit ist der Regimewechsel und die Teilung gemeint. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus gab es keine Angst mehr vor dem Kommunismus, Russland wurde zu einem Wirtschaftspartner. Doch die Kurdenfrage ist nach wie vor ungelöst und so existiert die Angst vor der Teilung auch weiter. Diese Angst ist in eine unglaubliche Kurdenfeindlichkeit, in einen Zwang, die Kurden zu vernichten, ausgeartet.

Wenn jahrelang eine falsche Politik verfolgt und in diesem Sinne Krieg geführt wird, dann kann der Hass und das Wertesystem in Blutrache umschlagen. Davon freizukommen wird schwer sein.

So ist auch die Situation des türkischen Regimes. Sein Bestreben, die Kurden als Geiseln zu nehmen und sie zu vernichten, hat wie ein Bumerang das Regime zum Geisel der Kurdenfrage gemacht. Die Kurdenfrage ist zum Schlüssel geworden, der auch die anderen Probleme beeinflusst. Diese Politik ist es, die den Rassismus und den Militarismus in der Türkei nährt.

Diese Situation verdeutlicht nicht nur den großen Widerspruch zwischen dem kurdischen Volk und den Führern der Türkei, sondern gleichzeitig auch den großen Widerspruch zwischen dem türkischen Volk und seiner Führung.

Das Verständnis und die Art dieser Führung werden weder die Probleme der Türkei lösen, noch Frieden und Demokratie in das Land bringen. Auch werden sie die Durchsetzung der für die EU-Anpassung notwendigen ernsthaften und tiefgreifenden Veränderungen verhindern.

Deswegen sind die aktuellen Veränderungen lediglich eine Art Augenwischerei. Die Führer der Türkei sind Meister der Bauernschläue und Gerissenheit. Sie versuchen die Europäer auf die Weise hinters Licht zu führen, wie sie es seit Jahren mit dem eigenen Volk getan haben.

Was ist die Lösung in dieser Situation?

Ganz offensichtlich liegt die Lösung nicht darin, die Kurden von ihrem Freiheitswillen abzubringen oder sie zu vernichten, sondern darin, diesen falschen Weg zu verlassen. Die türkische Führungsriege muss ihre seit über Hundert Jahren verfolgte Politik des Genozids, der Unterdrückung und der Zwangsassimilation verlassen und die Rechte der Kurden anerkennen. Allen Bürgern der Türkei müssen Grundrechte und Grundfreiheiten zuerkannt werden. Der Versuch, die innere und äußere Öffentlichkeit und auch die Europäische Union zu betrügen und Augenwischerei zu betreiben, muss ein Ende haben. Stattdessen muss sich die türkische Führung tiefgreifenden und ernsthaften Veränderungen zuwenden.

Zusammenfassend gesagt sind folgende Schritte zu unternehmen:

Vorrangig gehören die für die EU-Mitgliedschaft verpflichtenden Kopenhagener Kriterien realisiert, ohne degeneriert oder umgegangen zu werden und ohne die innere und äußere Öffentlichkeit sowie die EU zu betrügen. Dafür sind folgende Schritte notwendig:

1.      Die Junta-Verfassung von 1982, die wie eine Zwangsjacke der Gesellschaft verpasst wurde, gehört auf den Müll. Eine demokratische, moderne Verfassung ist zu erarbeiten. In dieser Verfassung muss die Existenz des kurdischen Volkes, das einen Drittel der Population des Landes ausmacht, ebenso wie seine Rechte anerkannt werden.

2.      Außer der Verfassung sind alle anderen Gesetze, allen voran das Parteiengesetz, das Wahlgesetz, das Strafrecht, das Presserecht, das Versammlungs- und Demonstrationsrecht zu ändern. Das bedeutet eine Demokratisierung des gesamten Rechtssystems.

3.      Alle Meinungen und Gedanken müssen frei ausgedrückt werden dürfen, sofern dies friedlich geschieht. Die Pressefreiheit ist zu gewährleisten.

4.      Alle politischen Parteien, die nicht zu Gewalt aufrufen, sind frei zuzulassen.

5.      Der über Parlament und Regierung stehende Nationale Sicherheitsrat ist ebenso aufzulösen, wie die durch den Ausnahmezustand errichteten Staatssicherheitsgerichte.

6.      Damit das Land laizistisch wird, müssen die ungerechtfertigten, willkürlichen Eingriffe des Staates in den Glauben der Menschen beendet werden. Dazu ist

·         die Anstalt für Religiöse Angelegenheiten aufzulösen.

·         der Religionsunterricht als Pflichtfach aufzuheben.

·         die Repression wegen des Kopftuchs zu beenden.

7.      Die Sprache und die kulturellen Rechte des kurdischen Volkes und der anderen ethnischen Gruppen sind im Rahmen der Kopenhagener Kriterien anzuerkennen. Das kann nicht im Rahmen von Individualrechten angegangen werden. In den Kopenhagener Kriterien ist sowohl von Grundrechten, als auch von Minderheitenrechten die Rede.

Außerdem hatte die OSZE bereits im Juni 1990 - wieder in Kopenhagen - eine gemeinsame Entschließung herausgegeben, die durch den Außenminister der Türkei unterzeichnet wurde. In den darin enthaltenen Beschlüssen, wo schon die Rede von „nationalen Minderheiten“ und ihren Rechten war, findet sich folgende Auflistung:

·         die eigene ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zu artikulieren, zu schützen und zu entwickeln;

·         die eigenen Muttersprachen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben frei zu nutzen;

·         Institutionen und Vereine für die eigene Bildung, Kultur und Religion zu gründen und zu entwickeln.

In Artikel 33 dieser Entschließung heißt es:

·         Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich, die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität der nationalen Minderheiten auf ihrem eigenen Boden zu schützen und geeignete Bedingungen für die Entwicklung dieser Identitäten zu schaffen.

In Artikel 34. wird das Recht von nationalen Minderheiten auf Bildung in der Muttersprache behandelt und ausdrücklich gesagt, dass im Geschichts- und Literaturunterricht auch die Geschichte und Kultur der nationalen Minderheiten beinhaltet sein muss.

Wenn in den Kopenhagener Kriterien über den Rahmen der Minderheitenrechte nachgedacht wird, so muss diese im Jahre 1990 akzeptierte, gemeinsame und bindende Erklärung berücksichtigt werden.

In diesem Lichte besehen sind die Reformen, die die Türkei mit dem „EU-Anpassungspaket“ durchgeführt hat, derart oberflächlich, dass weder die sprachlichen, kulturellen und parteilichen Rechte der Kurden, noch der anderen nationalen Minderheiten angemessen berücksichtigt werden.

Aus der Perspektive der Kurden muss in der Türkei folgendes geschehen:

a) Kurdisch muss neben Türkisch als offizielle Sprache anerkannt und in allen privaten und öffentlichen Bereichen des Lebens frei benutzt werden.

b) Das Recht auf Bildung in der Muttersprache muss von der Grundschule bis zur Hochschule realisiert werden.

c) In staatlichen wie in privaten Radio- und Fernsehkanälen müssen ganztägige Sendungen realisiert werden.

d) Parteien und Vereine mit nationaler Identität müssen frei zugelassen werden.

Die grundlegende Lösung für die Kurdenfrage

Die grundlegende Lösung der Kurdenfrage übersteigt ganz offensichtlich den Rahmen der Kopenhagener Kriterien. Die Kurden sind mit ihrer Population von 40 Millionen und ihrem Land in der Größe Frankreichs zweifellos eine der großen Nationen des Nahen Ostens. Wenn diese Nation und dieses Land zwischen vier Staaten aufgeteilt ist, so kann das Problem nicht mit der Verleugnung und Vernichtung der Kurden gelöst werden, sondern durch Kritik an der Ungerechtigkeit, die den Kurden widerfahren ist und durch das Festhalten an den Prinzipien der Gerechtigkeit und der internationalen Normen.

Dies wiederum kann auf zwei Wegen verwirklicht werden:

Entweder entscheiden die Kurden mit ihrem freien Willen, sich zu trennen und ihren eigenen Staat zu gründen oder sie entscheiden sich freiwillig in den Staaten, in denen sie sich befinden, zu bleiben, und zwar auf der Grundlage der Gleichheit. Dies wäre in Form einer Föderation oder Konföderation möglich.

Wir, die Sozialistische Partei Kurdistans, bleiben trotz der mehr als einhundert Jahre andauernden, unglaublichen Barbarei und Ungerechtigkeit des türkischen Staates gegen unser Volk und trotz des von unserem Volk zu Recht empfundenen Hasses und der Wut realistisch.

Wir denken, dass das kurdische Volk mit den Völkern, mit denen sie Seite an Seite leben, bei geeigneten Bedingungen in einer föderativen Form zusammenleben können. Die Kurden im Irak haben diesen Weg gewählt. Auch im Hinblick auf Nordkurdistan bevorzugen wir diese Lösung, also das Zusammenleben mit dem türkischen Volk auf der Basis der Gleichheit, in einer Föderation.

Die Türkei erachtet für die knapp mehr als 100 Tausend Zyperntürken die von Griechenland akzeptierte Föderation aus zwei Regionen und zwei Gesellschaften als zu wenig und fordert eine Konföderation aus zwei Staaten. Aber warum ist sie nicht bereit, dieses Recht den 20 Millionen Kurden in Nordkurdistan, das 10 Mal größer ist als die Insel Zypern, zuzugestehen?

Eine dauerhafte Lösung der Kurdenfrage ist nur auf diese Weise, in einer föderativen Struktur auf der Basis der Gleichheit beider Völker möglich. Solch eine Lösung würde der Türkei den Frieden bringen und den Weg zu einer wahren Demokratie öffnen. Nur so kann die verworrene Lage in der Türkei, wo die Probleme von Tag zu Tag schwerer werden, gelöst werden.

Sowohl die Führer der Türkei, als auch die europäischen Staaten müssen realistisch sein und die Kurdenfrage in ihrer wahren Dimension in die Hand nehmen. Diese Frage kann nicht mit lächerlichen und oberflächlichen Methoden wie Sprachkursen oder täglich halbstündigen Fernsehsendungen gelöst werden. Das sind nicht Lösungen, die einer Nation präsentiert werden können. Sie sind ehrverletzend und das kurdische Volk wird diese Angebote niemals ernst nehmen.

Andererseits ist, wie bereits gesagt, die führende Klasse, Regierung wie Opposition weder fähig, noch gewillt, solch eine grundlegende Kehrtwende zu vollziehen. Was ist dann zu machen?

Wir denken, dass die Antwort auf diese Frage offensichtlich ist: Bis die Kräfte, die diese Kehrtwende vollziehen können, an die Macht kommen, wird sich die Depression in der Türkei vertiefen. Beide Völker – Kurden wie Türken – werden darunter leiden. Weder der Kampf des kurdischen Volkes für Freiheit, noch der des türkischen Volkes für Demokratie, wird enden. Anders ausgedrückt hängt die Lösung, die in einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung liegt, davon ab, ob die wirklich reformwilligen demokratischen Kräfte an die Führung gelangen. Wie viel Zeit das beanspruchen wird, wissen wir nicht.

Die EU muss an ihren Normen und Prinzipien festhalten

Wie soll sich die Europäische Union in einer solchen Situation verhalten?

Wir vertreten die Ansicht, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wirklich erst dann aufgenommen werden sollten, wenn die Kopenhagener Kriterien tatsächlich erfüllt und in diesem Rahmen ernstzunehmende Schritte zur Lösung der Kurdenfrage unternommen worden sind. Es ist offensichtlich, dass die Türkei dies nicht getan hat.

Einer Türkei, die Menschenrechte respektlos verletzt und dem kurdischen Volk sogar die einfachsten Grundrechte verweigert, den Weg zu Beitrittsverhandlungen zu öffnen hieße, sie in ihrer Haltung, die Normen der EU zu verletzen und ihre Repressionsmaschinerie fortzusetzen, zu ermutigen. Es wäre die Belohnung für die Unterdrückung und die Ungerechtigkeit, für Rassismus und Militarismus.

Die EU sollte diesen Fehler nicht machen.

Sozialistische Partei Kurdistans

September 2002

PSK Bulten © 2002